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überging. Ich habe die angenehmsten Verhältnisse dieser Art selbst durchlebt und eine weitere Folge war, daß man überhaupt in einem gehobenen Sinne fortging und in diesem Sinne mit jedem, der einen intcrcssirtc, zu Verkehren suchte. Vergleiche ich damit im ganzen unser jetziges akademisches Geschlecht, so sehe ich fast überall jenes schöne Bewußtsein und das daraus hervorgehende Verhältniß verschwunden. Die politischen Verirrungen in den Kreisen Stndircnder, die allerdings zum Theil in jenem gehobnen Sinne der Studentenwelt wurzelten, wenigstens ohne ihn kein Aufsehen erregt hätten, haben mm durch ihre Folgen ein in eben dem Grade deprimircndes Bewußtsein hervorgebracht. Von jenem reichern, großartigern Interesse, welches auch für den wissenschaftlichen Betrieb statt hatte, ist wenig, von jener leichten und schönen Anschlußfähigkeit der Schüler an die Lehrer ist fast nichts übrig und hier in Halle namentlich hat sich alles in Atome aufgelöst. Das Verhältniß zwischen Professoren und Studenten hat sich in eine (gewiß nicht förderliche) gegenseitige Unbekümmerniß verwandelt. Ich habe seit längerer Zeit regelmäßig versncht, von meinen Zuhörern die Fleißigern, die mir am meisten Interesse zn haben schienen, persönlich näher kennen zu lernen; aber selten einmal finde ich eine strebsamere unbeklommenere Natur. Sie selbst haben die Peinlichkeit der meisten von denen, die an den Abenden, wo ich das Vergnügen hatte, Sie bei mir zu sehen, von mir eingeladen waren, bemerken können. Bei diesem allgemeinen Zustande des Universitätslebens ist es eine seltene Freude, einmal wieder Anklänge zu finden an die tadellosen Sitten, die jenes früher aufgeregte, strebende Stndenten- gcschlecht auch an sich trug, und Ihr Besuch erinnerte, Ihr Brief erinnerte mich lebhaft an jene schöne Zeit, wo ich selbst an allen Orten, nach denen mich mein Schicksal und meine Füße auf meinen Pilgerfahrten trugen, mit Männern, die mein Interesse erregten, in nähere Bekanntschaft zn treten suchte.
Unser brieflicher Verkehr wurde seitdem ein sehr lebhafter. Leo antwortete auf jeden Brief, gab auch nähere Anweisungen zum richtigen Studium. Die mitgetheilten schriftlichen Arbeiten beurtheilte er eingehend. Als ich ihm einmal über die drückenden peinlichen Einwirkungen des Examens geschrieben hatte, antwortete er:
Was Sie von den nachtheiligen Wirkungen der Examina auf das geistige Leben iu Studentenkreisen schreiben, erkenne ich vollkommen an; nur manches kann ich wenigstens von unsern preußischen Examiuntionscommissionen nicht zugeben, was Sie in dieser Beziehung sagen. Ich selbst bin Director einer solchen Commission, bin als Facultätsmitglied gewissermaßen Assessor einer zweiten und höre doch auch von theologischen, juristischen uud medicinischeu Examiuibus so manches. Da möchte es fast nur bei einem Theil der Theologen auf dürre Einzelheiten hinauslaufen. In unsrer Commission wird allerdings auch das Einzelne verlangt, denn wer einen rechten Trieb hat, ist davon nie so verlassen, daß er ein Examen nicht glänzend machen könnte; — und bemerken wir dann diesen Trieb nach irgend einer be-