Der Kmsermord in Petersburg. 537
lassen. Auch hier wird das wahre Bedürfniß Rußlands, wenn es erkannt wird, den Ausschlag geben; denn der Kaiser wird dann stark genug sein, panslavistischen Agitationen Widerstand zn leiste» und über sie hinwegzugehen.
AehnlicheS laßt sich endlich auch auf die Stellung anwenden, die der neue Zar zu Deutschland einnehmen dürfte. Auch hier wird er vermuthlich ein andrer sein als er als Zarewitsch war oder zu sein schien. Seine Gemahlin ist eine Dänin, die sich mit der Eroberung Schleswigs durch Deutschland vor einiger Zeit noch nicht versöhnt hatte. Man erzählte in den ersten siebziger Jahren, daß der Hof des Großfürsten-Thronfolgers den Kaiser dränge, in Berlin eine Rückgabe Nordschleswigs anzuregen. Man bezeichnete den Zarewitsch als mit der deutschfeindlichen Panslavistenpartei im Bunde oder ihr doch nicht abgeneigt. Das kann wahr gewesen sein, aber auch nnr so ausgesehen haben. Die Regel, daß Thronsolger, um der Dynastie nicht zu schaden, eine Stellung einnehmen, in der sie mit einer Partei einverstanden zu sein scheinen, welche andre Zwecke im Ange und andere freunde und Feinde hat als die Regierung, könnte auch hier Geltung gehabt haben.
Wie der Zarewitsch wirklich gedacht hat, wissen wir nicht. Als Fingerzeig für seine damalige Stimmung könnte vielleicht — wir sagen vielleicht — folgendes dienen, was im Jahre 1871 gerüchtweise erzählt wurde. Als der Kaiser Alexander beim Galadiner des Georgsfestes (8. Decbr.) nach starker Betonung seiner Freundschaft für Preußen gesagt hatte, er wünsche und hoffe, daß spätere Generationen diese Gefühle auch habeil möchten, sollte der Großfürst-Thronfolger zu seinen preußischen Nachbarn an der Tafel bemerkt haben: vivu vsuills aus eslg. 8s tÄsss!
Hoffen wir, daß dieser Wunsch sich inzwischen, wenn es überhaupt noth gethan haben sollte, au dem Wünschenden selbst erfüllt hat. Die Umstände, die Thatsachen sollten dasür sprechen. Sympathien und Antipathien sollten vor den Interessen zurücktreten, und die wahren Interessen Rußlands weisen auf ein freundnachbnrlicheS Verhältniß desselben zu Deutschland und zu dem mit diesem innig und fest verbuudnen Oesterreich-Ungarn, Staaten, in denen die Monarchie noch feste Wurzeln hat, nnd nicht auf das republieanische Frankreich hin, in welchem der Nihilismus aus der Verschmelzung des staatlichen nnd gesellschaftlichen Radicalismns entstanden ist. in welchem ein verwandter Wahnsinn 1871 zehn Wochen in der Hauptstadt gebot und Greuel auf Greuel häufte, welches im Laufe von achtzig Jahren einen seiner Monarchen aufs Schaffot nnd zwei ins Exil schickte, und welches, wenn nicht alle Anzeichen trügen, über kurz oder lang in Paris wieder die rothe Fahne aufhissen wird uud dann vielleicht zum Kriege gegen die europäischen Monarchien. Wenn das in dem nnn maßgebenden Kreisen Petersburgs noch nicht erkannt sein sollte, so bleibt uns nur übrig, das fürstliche Wort von 1871 hierauf anzuwenden: visu veuille aus ekla lÄssy! Grenzbvten I. 1881. 71