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Lessingstudien : 2. Die Katastrophe in der Emilia Galotti.
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Lessingstndien,

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endlich entrinnt sie ihm und eilt in die Arme ihrer Mntter, um dieser ihr ge­ängstetes Herz auszuschütten.

Und nun folgt jene meisterhafte Scene zwischen Mutter und Tochter. Noch wogen bei dieser die Empfindungen, die sie eben bewegt haben, auf und ab. Ihre furchterhitzte Phantasie hat den Prinzen mit ins Haus treten sehen, mit die Treppe hinaufsteigen hören, und erst in den Armen der Mntter fühlt sie sich sicher. Dann beginnt sie zuerst sich selbst anzuklagen als Mitschuldige fremden Lasters und endlich nnf Drängen der Mntter den Hergang in abgerissenen Sätzen zu erzählen. Als sie den Eindruck schildern will, welchen der Anblick des Prinzen auf sie ausgeübt, da glaubt sie ihr einfaches:Und da ich mich umwandte und da ich ihn erblickte" werde der Mntter genügen, denn so sehr hat der Gedanke an den Prinzen in diesem Augenblick ihr Herz und Sinne eingenommen, daß für sie jetzt kein andrerer" da ist, als der Prinz.Wen, meine Tochter?" fragt die Mntter.Rathen Sie, meine Mutter, rathen Sie. Ich glaubte in die Erde zu sinken. Ihn selbst"' erwiedert Emilia, indem sie es noch immer vermeidet, den Namen zu nennen, welchen die Scham ihr anszusprechen verbietet. Und erst auf die erneute Frage der Claudia:Weil ihn selbst?" ge­winnt sie es über sich, den Prinzen zu nennen.

Woher diese unbegreifliche Verwirrung, diese namenlose Angst vor dem ihr fast fremden und unbekannten Manne? Wie ist es zn erklären, daß sie ihrer nicht mächtig genug war, ihm in einem Blicke alle die Verachtung zu bezeigen, die er verdiente? Woher sonst, als weil sie sich nicht sicher vor ihm wußte? Andernfalls gehört sie in eine Klasse mit denen, die aus ihrer Tugeud ein Schaustück machen, welches sie vor jedem Hauche, jedem unheiligen Worte zu beschützen suchen, als wenn der Rost auch ächtes Metall fressen könnte, und die eben dadurch zeigen, daß ihr Metall unächt ist.

Fremdes Laster also hat sie wider ihren Willen zur Mitschuldigen gemacht. Und doch kommt sie sich nach den beruhigenden Worten der arglosen thörichten Mntter in ihrer Furcht fast lächerlich vor und sagt sich selbst verspottend:Was für ein albernes furchtsames Ding ich bin! Nicht, meine Mutter? Ich hätte mich noch Wohl anders dabei nehmen könne», und würde mir ebenso wenig etwas vergeben haben." Sagen diese Worte nicht das gerade Gegentheil von dem ans, was wir soeben aus dem übrigen Benehmen Emilias schlössen? Scheint der Prinz nun nicht ihrem Herzen wieder ganz fern zu stehen? Nein, ich glaube, alles was wir der Absicht des Dichters gemäß aus diesen Worten schließen können, ist vielmehr nur, daß jene sündliche Schwäche wider ihr eignes besseres Bewußtsein, wider ihr reineres Wollen noch so sehr bei ihr im Aufkeimen begriffen ist, daß sie zn Zeiten in einem plötzlichen Umschlag ihrer Seelenstimmnng das