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Tessingstiidicn.
in der Tugend nvch im Laster sein läßt. Diesem Manne, dessen verführerische Persönlichkeit dem weiblichen Herzen so gefährlich ist, tritt Emilia gegenüber. In jener Vcgghia beim Kanzler Grimaldi hat der Prinz ihre holdselige Schönheit zu bewundern Gelegenheit gehabt, „Ein Wollüstling, der bewundert, begehrt," cntgegnet Odvnrdo rauh der thörichten Mntter, welche ihm den Triumph ihrer Tochter frohlockend erzählt und wohl gar Hoffnungen auf eine Versöhnung ihres Gemahls mit dem Prinzen daran knüpfen möchte. Daß er recht hat, der argwöhnische Alte, lehrt die Folge. Denn von jenem Abende an ist der Sinn des Prinzen nur auf den Besitz Emilias gerichtet.
Aber auch Emilia hat sich dem Zauber seiner Persönlichkeit nicht zu entziehen vermocht. Das lehren uns am besten ihre eignen Worte über diese erste Begegnung mit dein Prinzen, welche ihr der Dichter nvch kurz vor ihrem Tode in den Mund legt. „Ich kenne," sagt sie da, „ich kenne das Haus der Grimaldi. Es ist das Haus der Freude. Eine Stunde da unter den Augen meiner Mutter — und es erhob sich so mancher Tumult in meiner Seele, den die strengsten Uebuugeu der Religion in Wochen nicht besänftigen konnten." Wenn auch verhüllt und das Besondere verallgemeinernd, spiegeln diese Worte getreu den Eindruck wieder, welchen der Prinz gleich bei diesem ersten Zusammentreffen auf Emilia ausgeübt hat. Aber sie fühlt sich nicht so bald in seinen Kreis gebannt, als sich anch ihr besseres sittliches Bewußtsein dagegen aufbäumt, das dcu Prinzen bei aller jugendlichen Unerfahrenhcit mit dem Scharfblick gesunder Naturcu durchschaut. Durch die härtesten Neligionsübungcn sucht sie Wochen hindurch ihre sündhafte Schwäche zn ersticken. Und wie ist ihr das geluugeu? Sie selbst meint vielleicht, daß sie im ernsten Ringen mit sich durch selbstauferlegte kirchliche Büßuugeu ihr Herz gereinigt, den Tumult ihrer Seele besänftigt habe, aber der Vorfall in der Kirche belehrt uns eines andern. Als sie hier am HochzeitSmorgen sich noch einmal in innigem Gebete stärken und die Gnade von oben erflehen will, da naht ihr an heiliger Stätte der Prinz mit Liebes- betheurungcn, dicht hinter ihr nimmt er seinen Platz, sie wagt nicht sich umzukehren — ahnt sie vielleicht, wer er ist? Dann, als das heilige Amt zu Eude ist und sie ihn erblickt, ist sie ihrer nicht mächtig genug, um ihm gleich durch den ersten Blick zu zeigen, wie wenig seine Worte bei ihr ausrichten werden. „Nach dein Blicke, mit dem ich ihn erkannte," sagt sie nachher zu ihrer Mntter, „hatt' ich nicht das Herz, einen zweiten auf ihn zu richten." „So hat," wie sie es ausdrückt, „fremdes Laster sie zur Mitschuldigen gemacht." Sie flieht daher, der Prinz ihr nach, er ergreift und zwingt sie ihn anznhören, in unaussprechlicher Angst steht sie vor ihm da, nach seinen eignen Worten „stumm und niedergeschlagen vnd zitternd, wie eine Verbrechen», die ihr Tvdesurtheil hört,"