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wieder heillose Verwirrung ausbrach und sich die Ohnmacht des Königs selbst iu seinen Erblanden iu grellem Lichte zeigte, regten sich die Kurfürsten zu gemein- sameu Handeln und verfügten endlich Wenzels Absetzung.

Schroff stehen sich die Meinungen der Geschichtsschreiber bei der Beurtheilung dieses Actes gegenüber. Höfler nennt den Proceß ein formell wie materiell rechtloses, tumultunrisches Verfahre», während Löhcr zu der Anschauung kam, daß das Ver- fahren der Kurfürsten den bestehenden Rechtsanschanuugen entsprechend und in seinen Formen gesetzlich war. Linduer verzichtet darauf, ein abschließendes und allseitig annehmbares Urtheil zu fällen. Er begnügt sich damit, zu eoustatireii, daß die Kurfürsten sich für berechtigt halten konnten, Wenzel abzusetzen, ohne es zu sein.Nicht auf Grund bestehender Gesetze und auf regelrechtem Processualischeu Wege habe« sie Weuzel entsetzt, sondern aus selbstgcgcbenem Auftrage, den sie ans ihrer kurfürstlichen Stellung ableiteten, und in selbstgewählter Form, die sie auf für die Königswahl geltende gründeten."

Wenn auch Weizsäckers Herausgabe der Reichstagsacten deu Verfasser wesentlich unterstützt hat, so hatte er doch noch bedeutende Schwierigkeiten bei der Behandlung der Quelle» zu überwinden, die bei weitem nicht eine so eingehende Behandlung und sorgsame Herausgabe wie die der ältern deutschen Geschichte erfahren habeu uud, wenn sie auch reichlich genug fließen, oft gerade bei den wichtigsten Ereignissen nns im Unklaren lassen. Mau wird anerkennen müssen, daß bei der Entscheidung streitiger Fragen wie bei der Beurtheilung des Werthes der Quellen der Verfasser, der seineu kritischen Scharfsinn schon in zahlreichen kleinern Aufsätzen bekundet, anch hier meist das Richtige getroffen hat.

Eine weitere Schwierigkeit lag in der Verthcilnng des Stoffes. Nnr die Ereignisse, nur die Bewegungen kounteu berücksichtigt werden, welche mit der all­gemeinen Entwicklung Deutschlands im Zusammenhange stehen. Es ist aber gerade in dieser Periode, in welcher die einzelnen Territorien ein mehr oder weniger selbständiges Dasein zn führen beginnen, schwierig zu bestimmen, in welchen Grenzen eine deutsche Rcichsgeschichte sich zu bewegen hat. Es ist unmöglich, die Ent­wicklung in den einzelnen deutschen Gebieten ausführlich zu verfolgen und sie andrerseits unberücksichtigt zu lassen. Es mußte außerordentlich verlockend sein, den Bestrebungen der Fürsten nachzugehen, die, wenn sie auch die Auflösung des Reichs beförderten, doch in ihrem eignen Kreise Großes schufen und Ancrkennungs- werthes leisteten, so daß schließlich, da das Reich mehr und mehr leistnngsnnfähig uud damit das staatliche und geistliche Leben in die engern Kreise der Einzel­staaten gebannt wurde, ihre Thätigkeit auch für die gesammte Nation fruchtbringend wnrde. Nicht weniger anziehend mnßte es sein, länger bei den Thaten der Hanse stehen zu bleiben, die im Gegensatz zn den endlosen Händeln, welche eine ein­seitige Interessen»olitik in Süddeutschland herbeiführte, größere Ziele aus natio­nalem Gesichtspunkte anstrebte. Auch in dieser Hinsicht, wie auch bei der Entscheidung über die Frage, wie weit die böhmischen und ungarischen Verhältnisse, die fran­zösische, endlich die päpstliche Politik heranzuziehen waren, können wir fast überall Lindner zustimmen uud seine Wahl billigen.

Alles in allem ist das vorliegende Werk eine treffliche Arbeit. Daß es die Popularität erhalten werde, die Giesebrechts Geschichte der deutschen Kaiserzeit mit Recht sich erworben hat. ist freilich nicht zn erwarten. Der Grund dafür liegt nicht sowohl darin, daß Lindner die seltene Gabe der Darstellung, durch welche der Geschichtschreiber der deutschen Kaiserzcit ausgezeichnet ist, nicht in gleichem Maße besitzt, sondern vor allem in der Eigenart der Zeit, die er behandelt, und