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Die destructiven Elemente im Staate.
Hebung; genug, dies alles wurde Material, um dem Volke immermehr das Vertrauen zu seiner Regierung zu benehmen. Und alles dies spitzte sich nun nochmals bis zum Jahre 1866 zu jener Negation und pathetischen Opposition der Verblendung zu, an welche heute ohne Beschämung nicht zurückgedacht werden kann.
Die tiefern Ursachen des auch heute noch sichtbaren Mißtrauens gegen die Regierung als solche sind weit in der Geschichte des preußischen Verfassungslebens zurückzuverfolgen, aber es ist ebenso zu verfolgen, daß dieses Mißtrauen, welches schon kurz nach den Freiheitskriegen seinen Anfang nahm, nur mit Unrecht allein durch die Böswilligkeit und den Unverstand des Volkes erklärt werden kann. Wer die Ursachen nicht einseitig zu beurtheilen bestrebt ist, wird anerkennen müssen, daß auch die Irrthümer und Mißgriffe der Regierung, welche den Geist einer neuen Zeit mit verständnißvollen Mitteln nicht zu leiten vermochte, Veranlassung zu weitgreifender Verbitterung im Volke wurden. Wenn wir es nicht hoch genug anzuschlagen wissen, daß die Führerschaft unsrer Nation die sittlichen Kräfte im Staate, denen gegenüber die materiellen, Macht und Willkür, nichts sind, richtig schätzt, so ist doch auch der Träger jener idealen Kräfte zugleich der Christophorus der Schuld einer Vergangenheit, mit der zu rechnen ist. Man darf ohne Uebertreibung sagen, daß die Staatsraison der neuen Zeit eine grundsatzvollere und sittlichere geworden ist, aber damit ist das tiefe Mißtrauen im Volke, das iu jedem Diplomaten einen Heuchler und Wortverdreher sah, nicht sofort beseitigt. „Leider haben wir selbst nur zu viele Beispiele gegeben, welche einen Theil der von Frankreich verübten Treubrüche entschuldigen" äußerte Lord'Holland bei Berathung der von dem damaligen ersten Consul Bonaparte gemachten Friedensanträge, und noch unumwundener erklärte der Graf Carnarvon: „Von jeher ist in Monarchien, wie in Republiken, Treue und Glauben von den Regierungen nur insofern gehalten worden, als es ihr Interesse mit sich brachte." Auch Whitbread, Erskine, Fox u. A. geben ähnliche Erklärungen ab: „Jede Seite der Geschichte zeigt, daß Verträge gebrochen werden, wenn man Vortheil dabei zu finden glaubt." „Es war nicht zu erwarten, daß die Menschen, die in Frankreich das Ruder führten, so lange unter der Herrschaft des Hauses Bourbon gestanden haben sollten, ohne den rastlosen Ehrgeiz, die Treulosigkeit und Falschheit dieses Cabinets einzusaugen." „Mail spricht von Bonapartes Meineiden, gut würde es vielleicht sein, wenn die Sitte der politischen Eide einmal abgeschafft würde, aber lassen wir auch gegen diejenigen einen Tadel aufkommen, welche in unserm Interesse ihre Eide brechen." So sprachen die ersten Staatsmänner des parlamentarischen Englands zu Anfang unsers Jahrhunderts. Was Wunder, wenn die ethische Erfassung des Staats-