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Politische Briefe : 2. Die nationalliberale Partei und das parlamentarische Regiment.
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Politische Briefe. 103

lament und Regierung zur Voraussetzung hcit. Für diesen Typus verbitten wir uns aber den Ausdruck constitutionell. Vielleicht könnte man die deutsche Monarchie nach dem Vorschlag eines Mannes, der sonst wenig glückliche Ein­fälle gehabt hat, nämlich Stahls,institutionell" nennen.

Die Hauptsache für einen eigenthümlich deutschen Verfassungstypus wäre also, daß die deutsche Geduld, Schonung und Gewissenhaftigkeit sich einen Zu­stand denken könnte, wo Parlament und Regierung zeitweise neben einander gehen, wo also der laufende Staatsapparat zwar nicht still steht, wohl aber der fortschreitende productive Staatswille, bis von der einen oder der andern Seite, sei es von der Regierung, sei es von dem Parlament, eine Accomodation an den Willen des andern Theils erfolgt. Man könnte sagen, daß ein solcher Zustand der hergebrachte in Deutschland sei, und daß er namentlich von 1815 bis 1848 in den kleinern deutschen Staaten bestanden habe. Bald nach 1848 hat Robert v. Mohl diesen Zustand, den schon er dualistisch nannte, gekenn­zeichnet und verurtheilt, weil auf die Dauer kein Staat bei einem zweigetheilten Willen bestehen könne. Wir werden gleichwohl die Pflicht haben, die Anwend­barkeit dieses Zustandes ernstlicher als bisher zu prüfen. Die kleinen Staaten von 1815 1848 sind keine Instanz, weil sie nicht unabhängig, weil sie keine Staaten waren. Ihre Regierungen konnten w inüniwm dem öffentlichen Geiste trotzen, weil sie sich auf den Bundestag und auf die absolutistischen Großstaaten in demselben stützten. Heute könnte eine deutsche Regierung und vor allem die Centralregierung nur unter schweren äußern und innern Gefahren sich der Einwirkung des öffentlichen Geistes entziehen, wo dieser Geist einen wirklichen Willen, eine einheitliche, faßbare Ueberzeugung zum Vorschein bringt. Man erwäge, daß diese dualistische Form: ein freies Parlament neben einer freien Executive, die einzige ist, welche mit der allgemein angenommenen Theorie des Verfassungsstaates Ernst macht. Denn diese Theorie fordert die Vereinigung unabhängiger Factoren zu einem gemeinsamen Willen durch moralische Mittel. Die sogenannte parlamentarische Regierung ist aber nichts anderes als der Er­satz moralischer Mittel durch mechanische, also in Wahrheit die Annullirung der nach der Theorie selbständigen Mitfactoren zu Gunsten des einen von ihnen. Ein mechanisches Mittel ist es, wenn man den Staat nach einem treffenden Ausdrucke von Gneist in seiner neuesten Schrift auf das Existenzminimum setzt und jeden Pfennig über dieses Minimum hinaus der Executive nur unter der Bedingung bewilligt, daß sie sich zum Sklaven der Majorität mache. Dabei würde man bald die vollkommene Zerrüttung des Staates erleben. Und doch ist es dieses Trugbild, entstanden aus einer ganz falschen Conception von dem Wesen des englischen Staates und seiner oligarchischen Negierungsfractionen, von welchem unsere Nationalliberalen sich nicht losreißen können. Nicht aus