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Politische Briefe : 1. Aussichten deutscher Parteientwicklung.
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Politische Bricfc.

Fictionen, welche so weit gehen, den Schein einer Volkssouveränität hervorzu­rufen. Der bei weitem wirksamere Grund aber liegt in dem Umstände, daß das aristokratische Regiment die oceanische Herrschaft Englands, deren Arme in alle Welttheile reichen und ganze Continente umfaßt, begründen konnte. Da­durch wurden die regierten Klassen unter der Herrschaft der Aristokratie die reichsten der Welt, bis die Disharmonien der modernen Gesellschaftsentwickluug auf dem klassischen Boden dieses Weltindustriereiches in den ihnen doch natür­lichen Dimensionen auftraten. Aus diesen Disharmonien sind die eigentlichen englischen Parteien erwachsen, die an der Regierung bis jetzt nur im Gefolge der Aristokratie zuweilen einen schwachen Antheil nehmen, und deren der Zu­kunft angehörende Bedeutung wahrscheinlich darin liegt, die Weltstellung Eng­lands zu zerstören. Denn die vielgerühmte parlamentarische Regierung, das heißt das unter der parlamentarischen Form sich verhüllende Herrschaftsmonopvl der Aristokratie, wird jenen Parteien gegenüber wehrloser sein, als die Kräfte, welche anderwärts die Aufgabe haben, die staatliche Beherrschung der Gesell­schaft zu sichern. Das aristokratische Regiment ist sür diese Aufgabe zu sehr von dem Gesellschaftscharakter durchsetzt, wir können sagen corrumpirt. All der unvollkommenen Ueberwindung dieses Charakters ist das ständische Regiment allenthalben zu Grunde gegangen, und die Reihe wird endlich auch das stän­dische Monopol der englischen Aristokratie treffen, mit ihm aber die englische Staatsgröße, in welcher die Trägerin dieses Monopols nicht ersetzt werdeil kann, weil alle andern dafür erzogenen Kräfte fehlen.

Die Staaten des Continents sind in die moderne Zeit getreten, indem die Monarchie die Stände überwältigte. Wo die Monarchie den Ständen den Herrscherberuf abnahm, ihnen aber die Privilegien ließ, konnte die Monarchie selbst den staatlichen Charakter nicht gewinnen und entartete zu einem maßloßen Gesellschaftsprivilegium. In der französischen Revolution des achtzehnten Jahr­hunderts erhob sich die Naturkraft der Gesellschaft gegeu das Verderben der letzter», um den Staat zu reclamiren, damit die Gesellschaft geheilt werden könne. In Preußen hat die Monarchie in unablässiger Arbeit sich in den staatlichen Beruf immer mehr vertieft und denselben immer mehr erweitert. Sie ist nicht stehen geblieben bei der Ausschließung der Stände von der Mitherr­schaft. Sie ist von selbst fortgeschritten zur allmählichen Schöpfung der staats­bürgerlichen Gesellschaft. Dadurch wurde die preußische Monarchie sammt dem Werkzeuge, das sie sich in der Bureaukratie schuf, die natürliche Bekämpfen» der Stände. Aber bevor die Monarchie Ms Werk, die staatsbürgerliche Ge­sellschaft zu errichten, vollendet hatte, fiel sie in einen Bund mit den Ständen zurück. Diesen Punkt hat Hans Delbrück mit glücklichem Blick erleuchtet. Der unnatürliche Bund wurde unmittelbar nach der Epoche der Befreiuugs-