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Auch die Abneigung vor der Verbindung mit einer solchen „Schwester" zu einer staatsrechtlichen Familie wird bei solchen Erinnerungen sehr begreiflich, wenn auch nur vom Standpunkte des Gefühls, nicht von dem der politischen Betrachtung aus; denn ein selbständiges Irland wäre aus hundert Gründen, die sich schwer oder gar nicht beseitigen lassen, weil sie in der Denkart und Sitte des Volkes liegen, der sichere Ruin seiner Bewohner.
Auf diese Gründe einzugehen, ist hier nicht unsere Absicht. Wir wollen im folgenden nur an der Hand des vortrefflichen Buches von Lecky*) einen Rückblick auf die fast beispiellose Behandlung werfen, die Irland von den Tagen Elisabeths an bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts durch die Gesetzgebung und Regierung Englands erfahren hat. Wir halten dies für um so nothwendiger und nützlicher, als dieser Theil der britischen Geschichte von den englischen Historikern meist oberflächlich behandelt und (unter andern auch von Macaulay) durch Vorurtheil und Entstellung verdunkelt worden ist, und wir hier einen durchweg gründlichen und unparteiischen Schriftsteller vor uns haben.
Irland war unter den Plantagenets von England erobert worden, weil kein eingeborner Chlodwig die ganze Insel unter seine Botmäßigkeit zu bringen und damit stark gegen Invasionen zu machen vermocht hatte. Aber die Eroberung war und blieb Jahrhunderte hindurch keine vollständige. Das fremde uormännisch-sächsische Element, das mit ihr ins Land gekommen, wurde bald von dem keltischen rings umschlossen, die neuen Ansiedler zerstreuten sich, vermischten sich mit den Eingebornen, nahmen deren Gesetze und Sitten an und wurden großentheils in wenigen Jahrzehnten „irischer als die Iren." Aber die Regierung gab gegen die letztern harte Gesetze, und die, welche jener Anziehung widerstanden, und welche den Kern der englischen Macht bildeten, blickten auf die Unterworfenen wie die Colonisten Amerikas auf die Rothhäute, d. h. ungefähr wie auf wilde Thiere, gegen die es keine moralischen Verpflichtungen gab. Es war offenbar, daß die, welche Irland im Namen der englischen Krone regierten, eine bleibende Scheidung zwischen Iren und Engländern herzustellen wünschten, wobei sie hofften, daß die letztern die erstem allmählich ausrotten würden. Der legale Grundsatz, daß die Tödtung eines Iren durch einen Engländer kein Capitalverbrechen sei, sieht allerdings weniger schrecklich ans, wenn man ihn neben das alte irische Recht hält, unter welchem die meisten Eingebornen fortlebten, und welches einen Mord nnr mit Geldbuße ahndete. Aber wenn englische Mönche erklärten, daß die Ermordung eines Iren der eines Hundes gleich
*) Geschichte Englands im achtzehnten Jahrhundert von William Edward Hartpole Leckt). Uebersicht von Ferdinand Löwe. Zweiter Band. Leipzig nnd Heidelberg, C. F. Wintersche Verlagshaudlung, 1880. Vgl. Capitel 6 und 7, Seite 97 bis 472.