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Libyen auf unbekannte Küsten stößt. Ob Eratosthenes schon die Bewohnbarkeit der heißen Zone vertreten habe, unterliegt noch einem Zweifel. Jedenfalls trat man bald nach ihm mit der entschiedenen, wenn auch andrerseits angefochtenen und später wieder aufgegebenen Lehre hervor, die Aequatorialzone sei durchaus bewohnbar, und wies namentlich darauf hin, daß der Zenithstand der Sonne am Wendekreise länger ertragen werden müsse als in den südlichern Breiten.
Es konnte nicht ausbleiben, daß die Geographie der Erdkugel, angebahnt von Mathematikern und Astronomen nnd von diesen Wissenschaften aus durchgeführt, endlich auch wieder die Aufmerksamkeit und Controle dieser Fachleute herausforderte. So wandte sich Hipparch in der zweiten Hälfte des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts mit einer durchgreifenden Recension gegen die Era- tosthenische Geographie. Eratosthenes hatte bei Herstellung seiner Karte den Boden der Mathematik insofern verlassen müssen, als er genöthigt war, die Ueberzahl der Ortsbestimmungen mit den darauf beruhenden Configurationen von unmathematischen Hilfsmitteln abhängig zu machen. Entschloß er sich dazu nicht, so war die Ausführung der Karte unmöglich. Die von Hipparch in conse- auentester Verfolgung der Theorie gewonnene Ansicht war nun die, Emtosthenes hätte diese Ausführung der Karte unterlassen und dafür die richtig begonnenen mathematischen Vorarbeiten, ohne vom Wege der Mathematik irgendwie abzuweichen, nach Kräften weiterführen sollen zum Zwecke späterer dem Anfange entsprechender Vollendung. In diesem Sinne vertheidigte er gelegentlich ältere Karten gegen die Correcturen des Eratosthenes und behauptete die Hinfälligkeit solcher Correcturen nach der Unsicherheit der dazu verwandten Mittel. Darum zergliederte er die Unterabtheilungen der Karte auf trigonometrischem Wege und rechnete die Widersprüche der Haupt- und Hilfslinien gegen die aus ihnen zusammengefügten Figuren vor. Er unterstützte alle Zweifel an den auf Hypothesen beruhenden Annahmen der Begrenzung der Oekumene durch den Ocean, sowie der Grenzen einer frühern Ueberfluthung der Mittelmeerländer. Er verwarf die von nachweisbar astronomisch ungebildeten Leuten colportierten Angaben über den Horizont Indiens, während er im Gegentheile die Breitenbe- stimmnngsversuche des bewährten Astronomen Pytheas mit Freuden annahm, die Erdmessung des Eratosthenes selbst unangetastet ließ und empfahl in der Hoffnung, daß mit der Zeit der richtigen Methode auch eine zuverlässigere Bestimmung der terrestrischen Entfernung zu Hilfe kommen werde. Er ging endlich über den Rahmen der Recension hinaus, indem er zeigte, wie er sich die geforderte Weiterführung der Vorarbeiten dachte und selber sofort Hand anlegte. Eine geographische Ortsbestimmung ohne astronomischen Nachweis ließ er nicht mehr gelten. Er entwarf daher eine Breitentabelle für die nördliche Hemisphäre und berechnete für jeden einzelnen der neunzig Grade zwischen Aequator und