Der Streit der Nationalitäten in Oesterreich.
Eine Bewegung so tief und umfassend, wie seit Jahrzehnten nicht, geht seit Monaten durch die deutschen Stämme Oesterreichs und hat soeben im deutschen Parteitage zu Wien einen mächtigen Beweis dafür abgelegt, daß sie nicht, wie ihre Gegner behaupten, das Werk einiger weniger nationaler Hetzer ist, sondern in den Gesinnungen eines sehr großen Theiles der Deutsch-Oesterreicher selber wurzelt. Das österreichische Deutschthum fühlt sich in seiner Stellung bedroht zugleich mit der Verfassung und Einheit des Reiches, So in der That steht der Fall. Die nichtdeutschen Nationalitäten haben allerorten lediglich ihr Sonderinteresse im Auge, sie sind nur insoweit österreichisch, als der österreichische Staat dies befriedigt und schützt; das Ideal der Tschechen bleibt eine Gestaltung der böhmischen Kronlande analog der Ungarns seit dem Ausgleiche von 1867, die Slovenen, Serben und Kroaten träumen von einem südslavischen Königreiche, und daß die galizischen Polen die verlorene Selbständigkeit ihrer Nation noch nicht verloren geben, bedarf nicht des Beweises. Was bliebe übrig von Oesterreich, wenn diese Träume sich erfüllten? Die Deutschen dagegen haben den Staat mit ihrer Arbeit und ihrem Blute gegründet, sie bilden nicht nur den gebildetsten Stamm der Monarchie, sondern auch den zahlreichsten — denn die Slaven der verschiedenen Stämme können nicht den Anspruch erheben, eine einheitliche Nation zu sein —, sie sitzen auf der einen Seite in eompacter Masse zusammen, auf der andern sind sie über das ganze Reich verbreitet, ihre Sprache wird überall verstanden, und sie haben obendrein einen gewaltigen nationalen Rückhalt an Deutschland. Sie also sind im Stande, in allererster Linie den Staat zu tragen, und sie können im eigensten Interesse nur den Bestand Oesterreichs wollen, denn seine Auflösung in „nationale, historisch-politische Individualitäten" würde in den gemischten Ländern, in Böhmen, Mühren und Kram die deutsche Minderheit derselben rohen Vergewaltigung überliefern, welcher der Ausgleich von 1867 die ungarischen Deutschen bereits preisgegeben hat. Also
kann keine österreichische Regierung sich auf andere Elemente so fest stützen als Grenzboten IV. 1830. Lg