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Das deutsche Judenthum in seiner Heimat :
(Fortsetzung.)
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Ausgange sucht aus der heutigen Lage des Judenthums. Praktisch hat es wenig Werth, zu wissen, daß die Polen durch eignes Verschulden ihren Staat zerrüttet haben, wenn darüber entschieden werden soll, ob die Polen das Recht haben, nach einem polnischen Staate sich zu sehnen oder nicht; praktisch ist es ziemlich einerlei, ob das Familiengut mit oder ohne Verschulden meiner Vor- ültern verloren ging, und ebenso ob mein Elje durch die Schuld meiner oder seiner Vorfahren ein moralisch unvollkommener Mensch geworden ist: ich hüte mich in gewissein Maße vor ihm und wünschte einen sittlich festern Mann an seiner Stelle zu haben. Der Fehler an ihm bleibt derselbe, welches auch die Urquelle desselben gewesen sein mag, und meine Behandlung richtet sich nach der Kenntniß dieses Fehlers. Und wodurch hätte denn etwa Preußen nach der Meinung von Franzos die Juden verdient, welche alljährlich zahlreich über die russische Grenze her mit all dem unsaubern Rüstzeug ausgestattet herüberkom­men, das ihnen jenseits eigen ist? Wodurch hat Deutschland es verdient, in seinem Volkscharakter geschädigt zu werden durch diese Einwanderung von Juden, die vielleicht in Polen verdorben wurden? Franzos thut, als ob das Juden- thum eine Art göttlicher Geißel sür die Völker sei, die sie still duldend hin­zunehmen hätten. Eine höchst christliche Selbstentsagung, die er fordert, eine sittliche Eigenschaft, welche dem Judenthum durchaus fremd ist. Es käme auf die andere Sentenz heraus:Jedes Volk hat seine Juden so zu behandeln, wie deren Vorfahren zn Jerusalem es verdient hätten." Man mag nun einen spe- eulativen Standpunkt einnehmen, welchen man will, so wäre es reiner Aberwitz, zu wissen, daß der Charakter und die Kraft eines Volkes unter dem Einfluß einer starken fremden Einwanderung leiden müssen, und dennoch zu behaupten, daß solcher Schädigung nicht vorgebeugt werden dürse. Jedes Volk ist sich selbst am nächsten, und kein Volkverdient", durch ein andres materiell oder sittlich geschädigt zu werden. Sicherlich aber verdient dieser Litthauer, der nie und von niemand um seine Meinung in Betreff der Behandlung der einwandernden Juden gefragt worden ist, nicht, diese Juden zu haben, welche er hat. Sie haben seit Jahrhunderten neben den Polen ihn betrogen und verdorben: zur Strafe dafür soll es nun immer so fortgehen? Mit den Polen geht Franzos als Jude hart ins Gericht: aber der Litthauer, der Ruthene, für die Jude und Pole gleich harte Herren waren und find, sollen die jüdische Herrschaft ver­dient haben? Nein, mit solchen Redensarten nach der Weise von Franzos, mit hohlen Doctrinen und Sentenzen löst man diese Frage nicht, welche Jahrhun­derte gereift haben und welche die Neuzeit oft sich einbildet mit einem Feder­strich, einem Vertragsartikel aus der Welt schaffen zu können.

Wer das Judenthum kennen lernen will, möge es in Polen-Litthanen er­forschen. Hier zeigt es sich unverhüllt, unverfälscht, mit manchen guten Eigen°