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Die Hauptströmungen in der bildenden Kunst der Gegenwart : 9. Die Schule Pilotys: Ungarn, Böhmen, Polen und Griechen.
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wie er im Boudoir der Dnbarry seiner Maitresse die Chocolade kredenzt. Wird ein so heikler Gegenstand in seiner ganzen sinnlichen Rohheit und Ge­meinheit angefaßt, so ist er einfach unausstehlich, und diesen Eindruck hat der Maler auch glücklich zu Wege gebracht. Der Mißerfolg, die einstimmige Ver­urteilung, welche dieses Bild fand, scheint den Maler veranlaßt zu haben, sich wieder seiner vaterländischen Geschichte zuzukehren, und so entstand im Jahre 1875 ein ernstes, feierliches Historienbild mit lebensgroßen Figuren,die Taufe Vajks, des nachmaligen Königs Stephau des Heiligen von Ungarn". Das Ge­mälde, welches im Pester Nationalmuseum Aufnahme gefunden hat, ist zwar nur ein Ceremonienbild, componiert und aufgebaut mit den bekannten Mitteln der Pilotyschule, ohne originelle Züge, welche das Walten eines selbständigen und unabhängigen Geistes verrathen, aber in der Farbe vou so glänzender Bra- vonr nnd in der Tonstimmung so glücklich mit dem Vorgange harmonierend, daß man von der weitern Entwickelung des Künstlers Gutes erwarten darf. Bis zum Gürtel entblößt kniet Vajk vor dem steinernen Taufbecken, ans wel­chem Bischof Adalbert die Schale gefüllt hat, um sie über das Haupt des Täuf­lings auszugießen. Kaiser Otto III. und Herzog Heinrich II. von Baiern wohnen als Taufzengen der heiligen Handlung bei. Die übrigen Figuren verlieren sich im Halbdunkel des Hintergrundes. Auf den Rücken Vajks, der dem Beschauer zugekehrt ist, fällt volles Licht. Der leuchtende Fleischton contrastiert prächtig mit einem purpurrothen Gewände, welches die Dominante in der Farbenscala des Gemäldes bildet. In den Gewändern, deren Pracht freilich von dem Künstler zum Nachtheil der historischen Treue weit über die Zeitepoche hinaus erhöht worden ist, sind alle Künste einer reichen Palette erschöpft. Eine Farbengluth, die auch neben Mcckart keineswegs an Wärme verlieren würde, stürmt auf die Sinne des Beschauers ein und nimmt sie vorsorglich gefangen, so daß man sich nicht weiter um den Mangel an Tiefe der Charakteristik kümmert.

Von polnischen Malern hat Josef Brandt nur vorübergehend das Atelier Pilotys besucht. Seine letzte Ausbildung und gleichsam den Impuls für sein ferneres Schassen erhielt er bei dem trefflichen Schlachtenmaler Franz Adam, dem sich auch andere Mitglieder der polnischen Malereolonie in München an­schlössen. Wir werden daher seine Thätigkeit besser im Zusammenhang mit der seines Meisters charakterisieren. Henri Siemiradzki, geb. am 15. November 1843 zu Charkow, ist zwar, nachdem er seine Vorstudien auf der Petersburger Kunstakademie beendigt hatte, auch nur ein Jahr in München bei Piloty ge­wesen. Aber es scheint ausgereicht zu haben, um ihn zu einem Virtuosen der Farbe auszubilden und wenigstens für eine Zeit laug bestimmend auf ihn einzu­wirken. Von München ging er nach Rom, und dort mögen, wenn ihn nicht schon früher persönliche Neigung dazu geführt hatte, die Trümmer der alten Grenzboten IV. 1880. 26