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Kampfes verzichten müssen? Unsere erste Pflicht ist, diesen Kampf mit allen unsern Kräften zu verhindern. Würde er dann unvermeidlich, so hätten wir das Recht, ihm, so lange er unsere Interessen nicht unmittelbar berührte, fern zu bleiben, und wenn es endlich sür uns zur Unmöglichkeit werden sollte, ohne schwere Schädigung unserer Würde und unserer Geltung abseits stehen zu bleiben, so müßte uns noch die Möglichkeit geblieben sein, unter den verschiedenen Wegen denjenigen zu wühlen, der unserm Lande wirklich den meisten Nutzen verspräche."
Lesen wir hier, wie erlaubt sein wird, zwischen den Zeilen, so zeigt sich deutlich der charakteristische Zug, daß die Italiener, seitdem ihr Land eine Einheit bildet, immer als die Begehreuswerthen, von allen Seiten Umworbenen auftreten. Sie suchen nicht ein Bündniß, sondern lassen sich suchen und erwarten einen Preis für ihren Beitritt. Oesterreich soll ihnen dafür Trient, wohl auch noch Trieft herausgeben, von Frankreich verlangen sie Einfluß uud Ellenbogenraum in Afrika, von England — mit welchem die Florentiner UaÄons vor kurzem eine Allianz abgeschlossen sein ließ, die bald darauf als Erfindung bezeichnet wurde — beanspruchen sie ähnliche Zugestündnisse. Sie sehen dabei, wie die „Kölnische Zeitung" mit vollem Rechte, wenn auch nicht sehr höflich ihnen bemerkte, nicht, daß dies auf Täuschung über den Werth ihrer Freundschaft beruht. Sie taxieren diesen Werth zn hoch. Was gewänne Deutschland an einer Coalition mit Italien? Wenig. Was Oesterreich? Es würde um das Trentino keine Besorgniß mehr zu empfinden brauchen, aber man darf annehmen, daß diese Besorgniß nicht sehr groß ist. Was die Italiener den Franzosen gelten, haben wir gesehen, als letztere sich mit kühler Gemüthsruhe an die allmähliche Einverleibung von Tunis machten und trotz der Entrüstung Italiens über dieses Verfahren dabei verblieben. Italien dagegen Hütte von einem Beitritte zu einem mächtigen Staatenbündnisse unzweifelhaft erhebliche Vortheile zu hoffen. Es würde an den Kräften dieses Staatenbündnisses participieren und bis zu einem gewissen Maße über sie verfügen.
Indeß rechnen die Italiener anders. Sie sagen sich, daß die übrigen Mächte mit Beziehungen behaftet sind, welche für sie, die Italiener, nicht existieren, und welche ihnen eine günstigere Stellung verleihen, als jene sie haben. Deutschland und Frankreich sind, wie zu Anfang dieses Artikels gezeigt worden ist,^ durch ihren fortdauernden Antagonismus in ihrer freien Bewegung gehemmt, Oesterreich und Rußland haben Verwicklungen auf der Balkanhalbinsel zu befürchten. Italien dagegen ist frei von solchen Rücksichten und nach keiner Seite hin gebunden. Es meint darum bei vorsichtigem Abwarten die Gelegenheit ersehen zu können, seine Freundschaft dem einen oder dem andern Staate oder auch dieser oder jener Staatengruppe um Zugeständnisse von größerer Bedeutung zu verkaufen, als die sein würden, die es etwa jetzt erlangen könnte. Grenzboten IV. 1830. 23