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ten." Die Zeit des Zusammenlebens wurde zu einem „Silberblicke, wie er sich in dieser Weise auf der Fläche einer hinschmelzenden Jugend nicht mehr wiederholt hat .... O, wenn wir zusammen durch die Gassen des unermeßlichen Friedhofes wandelten, und wenn die Gräfin Leonore wie ein Geist mit wehendem Schleier auf den Ruinen saß und ihre tiefen Geheimnisse erschloß — dann umgab uns eine seltsame, römische Poesie, es war als ob der Tod die Liebe verklärte und die befreite Psyche im Glänze eines neuen, noch nie gesehenen Himmels die Flügel entfaltete — ich war überaus glücklich." Damit endet das erste römische Landschaftsbild.
Wir hatten nach dieser Einleitung den Glauben, Kleinpaul gebe nun seine Schilderungen etwa nach den Eindrücken seiner schönen Begleiterin oder er erzähle auf römischem Grunde den Roman seines Lebens. Nichts von alledem. Nur gelegentlich redet ihn einmal Leonore als „Doctorle" im Eingange eines Abschnittes an; sie müssen also einander näher getreten sein, eine Vermuthung, die gegen Ende des Buches Bestätigung findet. Bei der Grotte der Egeria hat der Verfasser eine Vision. Egeria umfängt ihn mit beiden Armen und drückt einen Kuß auf seine Stirn, dann umwindet sie dieselbe mit einein feuchten Schleier. „Ein Gefühl von unaussprechlicher Seligkeit durchzitterte mich; mein ganzes Leben zog blitzartig an mir vorüber; die Liebe fuhr mit schaudernder Hand über alle Saiten meiner Seele — es war als ob der Gesang der Sphären über mir stillestände, um die leisen Melodien meines Herzens zu belauschen." Er erwacht und erblickt die Gräfin, die sein Haupt mit beiden Händen in ihrem Schoße hielt. Mehr erfahren wir nicht. Wozu aber die ganze Geschichte? Für die römischen Landschafts- und Lebensbilder ist sie sicher überflüssig.
Stellen wir in den übrigen Schilderungen Kleiupauls Gregorovius in seinen Wanderungen gegenüber, so muß der Vergleich sehr zu Uugunsten des ersteren ausfallen. Während Gregorovius mit meisterhafter Hand in einfacher Zeichnung ein farbenreiches uud stimmungsvolles Bild giebt, überwuchert bei Kleinpaul störendes Beiwerk. Er kommt aus dem Hundertsten ins Tausendste, zieht Dinge herein, deren Erwähnung wir an dieser Stelle gern missen würden. So werden im vierten Abschnitte „Römische Straßenrufe" ausführlich behandelt: Verwendung von Frauen bei der Arbeit, pompejanische Häuserinschriften, Nationalität der Professionen in Roni, die Heiligen und ihre Feste und die Gewerbe mit ihren Schutzpatronen, das Befanafest auf der Piazza Navona u. s. w. Dies alles geschieht in einem sen- tenzen- und citatenreichen forcirt-geistreichen Stil mit einer Fülle von antiquarischen und etymologischen Bemerkungen, daß dadurch die Lectüre des Buches, selbst wo der Verfasser Gutes bringt, wesentlich erschwert wird. Auch von sonstigen Geschmacklosigkeiten weiß Kleinpaul sich uicht freizuhalten. Nachdem die Juden in Rom ihm Gelegenheit gegeben haben, sich weitläufig über die Beschneidung und jüdische Feste auszusprechen, bleibt er längere Zeit beim Verbot des Schweinefleisches wie dem specifischen Geruch der Juden. Endlich verläßt er das wenig appetitliche Thema mit Verwendung eines, längst vergessenen Gassenhauers folgendermaßen: „Indessen, sagte zum Mechcmikus der andere Mann, ein jeder riecht wie er kann; und ebenfalls wird er gesagt haben: ein jeder ißt, was er kann." Soll das witzig sein? Dergleichen findet sich noch mehr in dem Buche. Alles in Allem genommen, können wir das vorliegende Werk für keine sehr werthvolle Bereicherung unserer Italien-Literatur erklären.
Für die Redaction verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Verlag von F. L. Hcrbig in Leipzig. — Druck von Hüthel K Herrmann in Leipzig.