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religiösen Jndifferentismus. Bis jetzt sind aber die confessionellen Gegensätze, so weit nicht etwa der Jndifferentismus schon platzgegriffen hat, noch so scharf bei uns wie in irgend einem anderen Lande. Das Gefährliche und Schädigende der Simultanschule ist der Umstand, daß um des Judenthums und um des Katholicismus, ja selbst um des absoluten Unglaubens willen der Protestantismus durch sie aufs empfindlichste beschränkt wird. Es soll, abgesehen davon, daß der Religionsunterricht ganz aus dem Lehrgange verbannt ist, auch aus dem Geschichtsunterricht alles ausgeschlossen werden, was irgend ein religiöses Bekenntniß verletzen könnte. Wie empfindlich in diesem Punkte die Juden sind, ist bekannt. Aber auch die Ultramontcmen sind es kaum minder und schon jetzt, wo unsere Negierung durch sie düpirt worden ist und sie daher Oberwasser zu haben vermeinen, schon jetzt kommen sie bei uns mit Forderungen, die zwar in dem System der Simultanschule tief begründet find, die aber dem protestantischen Geiste einen geradezu tödlichen Streich versetzen würden, wenn sie allgemeine Gewährung erführen. Das leitende Organ der ultramontanen Partei, der „Badische Beobachter", läßt aus Freiburg, dem Sitze des Erzbis- thumsverwesers, laute und mit den heftigsten Schmähungen gewürzte Klage darüber führen, daß in unseren Schulen, besonders in den höheren Bürgerschulen, das Lesebuch von Hops und Paulsiek eingeführt sei. In diesem deutschen Lesebuche seien Lesestücke, in welchen Luther als der Glaubensheld und Vorkämpfer des Protestantismus und als der Besieger der papistischen Ueberhebung gepriesen würde, „was die katholischen Schüler, denen der ,große Mcmn^ Luther nur als Sectenstifter gelte, verletzen und ihnen Aergerniß bereiten müsse." Daher solle dieses Lesebuch abgeschafft werden. Beharrt man auf dem Boden der confessionslosen Schule, so kann es nicht fehlen, daß man endlich jenen Forderungen nachzugeben sich gezwungen sehen wird, und die Folge wird sein, daß wir einen Geschichtsunterricht erhalten, der, allen Charakters beraubt, alle Thatsachen, welche ultramontane oder jüdische Empfindlichkeit zu verletzen geeignet find, unterdrückend, den Konsequenzen der Geschichte ängstlich aus dem Wege gehend, entweder nur noch eine trockene Chronik ist, oder aber von dem Geiste tiefer UnWahrhaftigkeit durchsetzt, der die katholische Geschichtschreibung von jeher auszeichnete. Der Geist protestantischer Freiheit aber und die Begeisterung sür dieselbe wird durch solch eine Geschichte ertödtet, ganz zu schweigen von der nicht minder hoch zu veranschlagenden religiösen Schädigung. Das ist eines der falschen Ziele, dem uns das liberale Princip in seiner Verkennnng wahrer Freiheit zuführt. Daß es ein falsches, zu vermeidendes ist, hat man an leitender Stelle, wie wir zn wissen glauben, erkannt, und wir hoffen, daß man das evangelische Volk davor zu schützen suchen wird. Bei der unbedingten Macht, welche der Katholicismus über seine Gläubigen und auch das Juden- thum über seine Anhänger hat, ist es das evangelische Volk allein, das darunter leidet. Man schreie nicht, daß die Schule dann wieder dem Ultramontanismus und der Kirche überhaupt ausgeliefert werden würde. Soweit das schädlich ist, ist es in ersterer Beziehung doch auch jetzt der Fall; es fehlt aber das heilsame Gegengewicht, welches allein die protestantische Freiheit des Unterrichts verbürgt. Ueberdies steht der Staat mit seiner Machtvollkommenheit der Kirche jederzeit gegenüber uud würde jeden Augenblick im Stande, einer Ueberwucherung ihres Einflusses entgegenzutreten. Möchte immerhin der Religionsunterricht in den anderen als den Volksschulen ausgeschlossen bleiben, dahin darf aber das Princip der Simnltanschule nie führen, daß aus dem Systeme der vom Staate geleiteten nationalen Erziehung jede religiöse Färbung verschwinde.