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Heinrich von Sybels Revolutionsgeschichte.
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Wahrheit über sie allgemeinen Glauben fand. Las man doch, um nur einiger Beispiele zu gedenken, in zahllosen Büchern, daß die Revolution bis zum Jahre 1791 milde und menschlich gewesen sei, daß dieser Zeitraum gleichsam der holde Frühliug der Republik gewesen, während wir doch heute wissen, daß in den Monaten, welche dem Bastillensturm vorhergingen, mehr als 300 Emeuteu in Frankreich stattfanden, und daß die Erfolge dieser von Mord uud Brandstiftung begleiteten Tumulte wie die Straflosigkeit ihrer Urheber immer neue und frevel­haftere Aufstände gegen das Eigenthum und das Leben Unschuldiger vercnr- laßten. Erst die Höfe von Wien und Berlin, so heißt es, hätten, angestachelt durch die Emigranten und durch ihren eigenen Haß gegen die Umwälzung, Frankreich mit eiuer bewaffneten Intervention heimgesucht und dadurch die Franzosen nach innen in wild hervorbrechende Leidenschaften versetzt und nach außen zu beispiellosen Anstrengungen uud Siegen genöthigt, so daß alle blu­tigen Frevel der Schreckenszeit und alle Ausschreitungen der späteren Kriegs­herrschaft nur durch den ungerechten Angriff der Coalition von 1792 hervor­gerufen seien. Man las ferner, daß diese Bemühungen der Coalition in erster Linie an dem heldenmüthigen Enthusiasmus der jungen französischen Freiwil­ligen, in zweiter aber an der verräterischen Gesinnung Preußens gescheitert seien, welches, 1795 durch einen Separatfrieden zu Basel von der gemeinsamen Sache zurücktretend, Kaiser und Reich der französischen Uebermacht preisgegeben und dann zehn Jahre lang in hartnäckiger Feigheit oder Selbstsucht sich dem gerechten Kampfe gegen die Republik entzogen habe. Ebenso häufig erfuhr man dann, daß damals Napoleon aufgetreten sei, in seinen ersten Jahren ein Feld­herr republikanischer Freiheit, heldenkühn gegen den Feind, übersprudelnd in jugendfrischer Geisteskraft und beseelt von enthusiastischem Patriotismus; erst nachdem er zur Herrschaft gelangt sei, sei er, von Schmarotzern und Intriganten, von Hofleuten und Pfaffen umringt, allmählich zu selbstsüchtigem Despotismus erzogen worden.

Wenn in den letzten drei Jahrzehnten solche Erzählungen, an deren Wahr­haftigkeit vordem niemand zn zweifeln wagte, die zu Dogmen sich verdichteten, an Glauben verloren haben, so ist dies vorwiegend Sybels Verdienst. Ihm ist es gelungen, nach Verarbeitung des gedruckten Materials und mit Benutzung der echtesten Quellen, nämlich aus den im Laufe der Ereignisse selbst entstan­denen Depeschen, Acten und Correspondenzen, nicht bloß in unzähligen Einzel­heiten das Urtheil zu verbessern und eine Menge von Irrthume« und Lügen, von denen die ersten historischen Darstellungen wimmelten, sür immer zn ver­nichten, sondern auch die Gesammtansicht über jene weltbewegende Umwälzung, wie sie vielfach französische Eitelkeit geschaffen, einheimischer und fremder Libera­lismus sich bewahrt hatte, von Grund aus zu ändern. Dabei mußte Sybel