Heinrich von ^ybels Revolutionsgeschichte.
Mit der zweiten Hälfte des 5. Bandes hat kürzlich Sybels Geschichte der Revolutionszeit ihren Abschluß gefunden,") und so liegt denn die großartige Darstellung jener Umwälzung, die den Zustand der französischen Gesellschaft vernichtete und eine von Grund aus umgeformte Denk- und Lebensweise mit jedem Mittel der Gewalt zuerst in Frankreich, dann auch in allen Nachbarländern zur Herrschaft zu bringen suchte, vollendet vor. Wenig tröstlich war das Ergebniß der in ihren Anfängen mit so lautem Jubel begrüßten Bewegung: der Neubau im eigenen wie in den Vasallenstaaten wär mißlungen. Anstatt der Freiheit war die Willkür, anstatt der Gerechtigkeit die Gleichheit eingetreten, und auf diesen Grundlagen gab es kein anderes Ergebniß als den Wechsel von Anarchie und Tyrannei, kein anderes Mittel gegen die vollständige Zersetzung als den Staatsstreich. So hatte nach einer zehnjährigen Erschütterung die von der Revolution geschaffene Staatsgewalt in allen Stücken abgewirtschaftet.
Das Bild dieser großen Bewegung, die Sybel schildert, war durch Bewunderung auf der eiuen, durch den bittersten Haß auf der anderen Seite vielfach schwer entstellt worden. Die höchsten Interessen hatten auf dem Spiele gestanden, die tiefsten Leidenschaften waren erregt gewesen, alle Länder des Erdballs waren in den Streit hineingezogen worden. Diese ungeheuere Erregung mußte in der geschichtlichen Ueberlieferung sich wiederspiegeln, und eine unabsehbare Masse von Gerüchten, Einbildungen, Mythen und Tendenzlügen erfüllte denn anch die ersten Darstellungen. Dabei lagen gerade manche der entscheidendsten Beziehungen tief in den Cabinetten und Archiven verborgen, und so kam es, daß ein volles Menschenalter hindurch gerade die wichtigste» Momente der großen Bewegung im Dunkel lagen oder das volle Gegentheil der
*) Geschichte der Revolutionszeit von 1739—1300. Bon Heinrich v. Sybel. 6. Bd. 2. Abtheilung, Ebner K Seubert, 1879.
Grenzboten III. 1830. K0