— 465 —
finden. Aber auch studentische Korporationen betrachten zuweilen bestimmte Ghmnasial-Vcrbindungen als ihre Pflmizschuleu, denen sie in der Gefahr mit Rath und That beistehen. Endlich klagt Pilger nicht uur über käufliche Nachsicht von Nachtwächtern uud Polizisten, sondern auch über Fälle leichtfertigster Milde von Seiten Beamter gegenüber rohen Ausschreitungen angezechter Verbindungsschüler. Bei so vielseitiger Gönnerschaft schwillt natürlich auch dem Schützling der Kamm immer mehr, uud es werden Aeußerungen der Frechheit gegenüber deu untersuchenden und richtenden Lehrern begreiflich, wie sie vor knrzem auf einem pommerschen Gymnasium vorgekommen sind.
Je schlimmer nun die Folgen des Verbindnngsleben in so vielen Beziehungen und Fälleu sind uud je schwerer und seltener die Entdeckung ist, desto nöthiger ist es, wenn einmal eine solche gelungen ist, mit energischster Strenge dagegen vorzugehen. Pilger verlangt, daß nicht bloß durch Einzelbeschlüsse von Fall zu Fall, sondern ein für allemal kraft gesetzlicher Verordnung als Strafe für die Betheiligung an einer verbotenen Schüler-Verbindung die Relegation zu bestimmen und nur ansnahmsweise eine mildere Behandlung zuzulassen sei. Einen solchen Ausnahmefall aus Mitteldeutschland sei es gestattet, hier, mehr scherzweise, anzuführen. Ein Lehrer hatte das Statut einer Sevtimaner - Verbindung (!) gefunden, iu welchem ein Paragraph lautete: „Gepatzt*) wird nicht". Er gab es lächelnd mit eben diesen Worten den kleinen Missethätern zurück. So harmlos lindisch nun dieser Fall an sich betrachtet ist, so ist doch gerade er ein deutliches Zeugniß, wie weit verbreitet das Verbindungswesen' und der Trieb zu demselben in der Ghmnasialjugend ist. Daher können wir anch die weitere Ansicht Pilgers nur als gerechtfertigt ansehen, daß ein Schüler, der schon einmal als Mitglied einer Verbindung betroffen uud rele- girt worden ist, im Wiederholungsfalle vou jeder höheren Lehranstalt ausgeschlossen werden sollte. Nur darüber ließe sich streiten, ob einem solchen wegen constatirten Mangels an sittlicher Reife anch für immer zn verweigern sei, sich als Extraner an einer Maturitätsprüfung zu betheiligen.
Doch nicht uur um uachfolgende Strafeil handelt es sich, svudern „der kluge Mann baut vor". Aber diese vorbeugenden Maßregeln liegen weit weniger in den Händen der Schnle, deren Lehrern kein fruchtloser und unwürdiger Gendarmendienst zuzumuthen ist, als iu denen der Familie. Zu deren Erziehungsarbeit gehört freilich die gemeinsame, consequente und eoneentrirte Wirksamkeit beider Eltern. Von dieser Concentratiou des Geistes uud Gemüthes aber zieht leider heutzutage namentlich den auf Bildung Anspruch erhebenden Mann außerordentlich vieles und relativ berechtigtes ab: theils die nothwendige Theilnahme am öffentlichen Leben, theils die Forderung der Vielseitigkeit und Allgemeinheit der Bildung. „Wer hätte heute uicht den an sich sehr begreiflichen Wunsch, über Spectralanalhse nnd Pfahlbauten, über Spiritismus und du- Forschungen in Centralafrika, über Socialdemokratie und Verstaatlichung der Eisenbahnen orientirt zu sein? Und so opfert man denn oft die weuigen vom Amt uud Geschäft gegönnten Mußestuudeu dem gefährlichen Dränge, in unmer weiteren Regionen sich tnmmeln zu köuneu, statt den kleinen Kreis, dessen wirklicher Mittelpunkt man ist, voll und ganz auszugestalten." So führt uns Pilger von einem sehr speciellen Ausgangspunkte und Gegenstande schließlich auf einen gefährlichen Gruudzug unserer ganzen Zeit hin, mit dem auch jener
*) d. h, beim Lehrer angeklagt.