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Der Liberalismus in Süddeutschland.
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zu befürchten, daß der dort herrschende Zug der Unzufriedenheit schließlich auch hier Platz greift, daß die Zerfahrenheit auch hier zunimmt, wenn nicht bald eine Wendung zum Besseren eintritt. Nur wird man diese Wendung niemals her­beiführen durch einen äußeren Einfluß; die Männer, welche unser Pcirteileben verdorben haben, sind unfähig, es wieder gesund zu machen.

Mit vollem Rechte wies neulich die'Nürnberger Presse" darauf hin, daß alle Reformvorschlüge, die bisher gemacht worden sind, darauf hinausliefen, die Alleinherrschaft, die Selbstherrlichkeit der derzeitigen Parteispitze zu erhalten, und daß der Zweck aller dieser Neorgauisationsversuche nicht ein höherer, nationaler, sondern ein Selbstzweck sei. Es handle sich dabei lediglich um die Herstellung einer liberalen Parteiherrschaft.Bisher ist es Sitte bei uns gewesen, den­jenigen der ,Prmeipienlosigkeit^, ,Charakterlosigkeit^ und des ,Servilismns< zu zeihen, der seine Anschauungen und Ueberzeugungen dem Reichskanzler unter­geordnet hat, uud dieses Verdict bleibt bestehen, auch wenn niemand im Zweifel ist, daß die also gebrandmarkten sich uicht aus persönlichen Rücksichten unter­ordnen, sondern allein im Interesse der nationalen Sache, als deren besten und einsichtigsten Vertreter sie den Reichskanzler anerkennen müssen. Was aber hier eine Charakterschwäche sein soll: Unterordnung unter die bessere Einsicht eines anderen, wenn auch noch so bewährten Mannes, das soll ein Verdienst sein, wenn es geschieht m der ,großen liberalen Partei, und im Interesse der Herr­schaft der Partei." Aehnlich haben sich auch die übrigen genannten Blätter wiederholt ausgesprochen; sie alle haben die Bildung einer großen liberalen Partei als ein Unding bezeichnet,

Was uns betrifft, wir glauben, daß die Principien, nach denen bisher die Parteibezeichnungenliberal"' undcvnservativ" statthaft waren, veraltet und ganz und gar nicht mehr zutreffend sind. Diese Bezeichnungen selbst und die ans sie sich gründende Parteibildnng reicht in eine Zeit zurück, von der uns unüber- steigbare und uuzerstörbare Scheidewände trennen, in eine Zeit, in der es sich wirklich noch um Ziele handelte, welche auf dem politischen Gebiete lagen und die entweder freiheitliche oder absolutistische, volkstümliche oder oligarchische waren. Diese Zeit aber liegt, Gott sei Dank, weit hinter uns. Nicht uur die Revolutionen, sondern viel mehr noch das von Fürst Bismarck heraufgeführte Zeitalter der nationalen Wiedergeburt Deutschlands trennt uns auf immer von den Tagen der Demagogenhetze, der Knechtschaft, der Botmäßigkeit des Volkes gegenüber der allmächtigen und alleinmächtigen Regierungsgewalt. Wir siud ein freies Volk, ausgestattet mit allen, ja mehr als allen politischen Rechten, für die sich die große Masse reif und gewachsen zeigt, und wenn unsere Demo­kraten und fortgeschrittenen Liberalen heute noch von der deutschen Knechtschaft reden und von dem Mangel an jeglicher politischen Freiheit, und wenn der Frankfurter Demvkratenhüuptling es heute noch zu sagen wagt, daß die edelsten deutschen Männer im Gefängnisse schmachten, so lächelt man im allgemeinen darüber und weiß nur zu gut, welch ein Kaliber von Männern wir unter diesen Edelsten", diesenSternen" der deutschen Nation uns zu denken haben. So wenig aber die Regierung selbst, und am allerwenigsten der Reichskanzler, jene abso­lutistische Zeit zurückzuführen gewillt ist, so giebt es auch im Volke keine Partei mehr, die sich aus jenem oligarchischen Feudaladel recrutirte, gegen den das deutsche Volk einen langen Kampf zu führen gezwungen gewesen ist, und wo ja noch ein mittelalterlicher Kopf von jener verlorenen Herrlichkeit träumt oder gar es auszusprechen wagt, daß er jenes alte Abhängigkeitssystem sich zurück­wünscht, da geht die Geschichte einfach über ihn zur Tagesordnung über. Zu-