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Das formale Element in der Musik.
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heit durch einen Namen, dnrch eine Unterschrift, ein Motto, so sehr es auch die Maler uud Bildhauer lieben, ihren Werken Titel zu geben. Der Name wird vielmehr aus der reichen Fülle dessen, was das Bildniß für unser Empfinden und für unsere Phantasie sein kann, nur eineu kleinen Theil heraus­greifen, und es ist fraglich, ob nicht häufig ein vortreffliches Bild durch einen unglücklich gewählten Titel seiner Wirkung theilweise oder ganz verlustig geht. Geradeso kaun eine Musik von undefinirbarem Stimmmungsgehalt, die ohne Titel vorzüglich wirkt, durch ein untergelegtes Programm als vollständig ver­fehlt, als geradezu lächerlich erscheinen. Die moderne Sucht, auch dem kleinsten Clavierstück wenigstens einen Namen zu gebe», hat schon manche Composition zur Faree gemacht, die eigentlich recht gute Musik ist. Freilich wird ja alle Musik, sicher die beste, einer Stimmung des Komponisten entsprungen sein und diese aus­prägen; andererseits ist es unvermeidlich, daß die Stimmung, welche das Stück geschaffen, oder die iu ihm lebt, den Hörer erfaßt und sich ihm mittheilt; be­sonders werden diejeuigen Compositiouen, welche nicht refleetirend ein Programm illustriren, sondern gleichsam ganz frei ans dem Herzen herauswachsen, am sichersten den Hörer in jeder Stimmung empfänglich finden, und das unschuldige Spiel des gegenstandslosen Affeetes wird am sichersten seine Seele läutern, seine Stimmung mildern, also lösend, heilend wirken. Das ist ja das Herrliche an der Kunst, daß sogar die Werke ihre Schöpfer selbst erheben und daß die Klage, welche sein gequältes Herz in Tönen ausströmt, durch die schöne Form, welche sie gewonnen, wie lindernder Balsam ihn erquickt, ihn tröstet. Die Beziehung zur Erscheinungswelt, welcher seine Schöpfung entsprang, geht sogar für den Künstler selbst verloren, seine Stimmung verallgemeinert sich durch ihre Er­gießung in die Formen des musikalischen Kunstwerkes, und es ist eine Art Hyänenarbeit, welche die Analytiker mit innigem Behagen betreiben, wenn sie die Wurzeln des Kunstwerkes bis in die Seele des Componisten hinein verfolgen und sich au dem Erdklumpen erfreuen, aus dem die Blume ihren Lebenssaft gesogen.

Afsoeiative Momente gesellen sich freilich gern und schnell, meist unbemerkt, zum Genuß des musikalischen Kunstwerkes; derselbe ist dann dem Genusse zu vergleichen, den das Landschaftsbild oder auch die Landschaft selbst, die Natur­betrachtung gewährt. Eine schöne Landschaft, sei es auf dem Bilde oder in der Natur, hat gewiß Stimmung, d. h. sie ist gerade so gut im Stande, dnrch ihre Formen und Farben Stimmung zu erwecken wie die Musik, aber niemand wird es einfallen, ein Gemälde, das nichts sein will als ein Stück Natur, zu verdammen. Es ist nicht nöthig, daß das fallende Lanb, der rieselnde Bach an die Vergänglichkeit gemahnen und dadurch unsere Wehmuth erweckeu, wenn dies auch oft genug geschehe» mag; ebeusvweuig ist die Wirkung der blühenden