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Factoren faßt, was freilich gewöhnlich nicht geschieht. Die Harmonie ist kein elementarer Factor, die Wirkung selbst des einzelnen Aeeordes können wir nicht als eine elementare bezeichnen; die resnltirende Empfindnng der Consoncmz oder Dissonanz setzt einen Vergleichnngsaet voraus, dem ähnlich, welcher eine Tonfolge gefällig oder widersinnig findet. Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, daß in der That ganz dieselben Principien für Tonfolgen wie für Zusammenklänge maßgebend sind. Sofern die Melodie etwas anderes ist als bloße Veränderung der Tonhöhe, sofern sie Steigung und Fall durchaus nur stufenweise geschehen läßt, d. h. die Verhältnisse einer diatonischen Tonleiter innehält, ist sie nicht mehr nur sie selbst, sondern ist bereits von dem Princip der Harmonie durchdrungen. Moritz Hauptmann sagt in seiner „Natur der Harmonik und Metrik": Die melodische Folge als Zusammenklang gesetzt, ist Dissonanz und setzt damit die Melodie bereits voraus als Folge harmonisch bezogener Tone. Wir können daher umgekehrt auch sagein die Harmonie in ein Nacheinander ihrer Elemente zerlegt, ist musikalische Melodie. So führt die Harmonie direct über zur Musik als Kunst, aber doch nur, indem sie das rohe Material des elementaren Factors der Melodik für die Kunst verwendbar gestaltet und fozusageu behauene Steine aus der formlosen Masse bildet. Die Harmonie selbst ist trotzdem noch immer kein Knnstprincip, vielmehr von der Natur als Mittelglied für den Uebergang zn künstlerischer Gestaltung gegeben.
Das Wesen der Harmonik erklärt sich aus gewissen akustischen Phänomenen, aus gewissen innigen Wechselbeziehungen zwischen der Natur der tönenden Körper uud der Coustruction des die Töne auffassenden menschlichen Gehörorgans. Bekanntlich sind diese Phänomene das der Obertöne nnd das der Combinationstöne. Die Auffassung von Tönen im Sinne von Klängen, welche sich durch die Zusammensetzung des einzelnen Klanges aus der Reihe der Obertöne erklärt, ist die erste logisch-kritische Thätigkeit unseres Geistes beim Musik- Hören oder Musikschaffen. Sie ist daher der eigentliche Anfang der Kunst. Denn nun beginnt die Verkettung der Beziehungen — die verschiedenen Klänge, welche nacheinander oder gleichzeitig vertreten sind, werden wieder ebenso wie die einzelnen Töne auf einander bezogen und treten zu Klanggruppen zusammen, die ebenso ihre einheitliche Beziehung zu einem mittleren Klänge, der Tonika, finden, wie die Töne desselben Klanges zum Klanghaupttone. Wir erhalten daher über dem Begriffe der Consoncmz den weiteren der Tonalitüt. Die Tonsolge wie der Zusammenklang kann nicht willkürlich sein, ohne zu mißfallen, die innere Einheit in der Verschiedenheit, welche zuerst als consonanter Accord und ausgeprägte Tonart auftritt, macht also in der That aus den rohen Elementen der Tonhöhenveründerung branchbares Material für die Bildungen der Kunst. Die Natur weist durch die harmonischen Phänomene direct auf die Wege zur