- 221 —
heit, die große Welt aus unmittelbarer Nahe zu studiren und als Schriftsteller, als welcher er mit seinen 1752 veröffentlichten ersten poetischen Versuchen nur weuig Auklaug gefunden, dasjenige Gebiet zu betreten, auf dem sein Name Berühmtheit erringen sollte.
Die mailändische Gesellschaft von damals bot ein betrübendes Bild geistiger und moralischer Verkommenheit. Abgesehen von ganz vereinzelten Erscheinungen, zu deueu u. a. die geistvolle Herzogin Serbelloni Ottoboni zählte, setzte sie sich zusammen ans Gecken und Ignoranten, deren innere Hohlheit nur durch ihre lächerliche Anmaßung übertrvffen wurde. Die lombardische Hauptstadt, noch unter den Nachwirkungen der unseligen spanischen Fremdherrschaft leidend, glich, wie Giusti sich ausdrückt, einem verschuldeten Edelmann, der eine Menge von Orden auf zerrissenem Rocke trägt, und das Elend der niederen Volksschichten, das neben der Hoffart nnd Prunksucht der herrschenden Classe doppelt grell hervortrat, konnte nicht verfehlen, in dem empfänglichen Gemüthe des juugen Mannes, der die Noth des Lebens aus eigener bitterer Erfahrung kannte, ein lautes Echo wachzurufen; der tägliche Verkehr mit den Angehörigen einer privi- legirten Kaste, die sich im Vollgefühle ihrer Rechte aller Pflichten enthoben glaubte, drückte dem Sohne des Volkes, der uuter den mißlichsten Verhältnissen nie seine Ideale vergessen, die Feder in die Hand, um die Verkehrtheit und Nichtigkeit der ihn umgebenden Welt zn geißeln.
Ein Satiriker, der mehr als jeder andere Poet in seiner Zeit wurzeln muß, um nachhaltige Erfolge zu erringen, wird in früheren Literaturepochen selten Vorbilder finden, an die er sich unmittelbar anlehnen könnte; nicht nur seiue Stoffwelt, auch die Behandlung derselben mnß durchaus neu und originell sein, um zu wirken. Weder die Satire eines Horaz, eines Persius oder Juvenal, noch die seiner italienischen Vorgänger wie Ariosts konnte Parini Belehrung darüber bieten, wie er seinen Stoff künstlerisch zu gestalten habe; ihm, den tiefe sittliche Entrüstung über die bestehenden Zustände zur Satire hindrängte, konnte es nicht genügen, dieselben dem Gelächter der Nation preiszugeben; sein Zweck ging vielmehr dahin, dnrch Belehrung zu bessern, zu einer geistigen und moralischen Regeneration nach seinen Kräften mitzuwirken. So schrieb er ein anscheinend didaktisches Gedicht, in welchem beißende Ironie den Grundton bildet. Indem er es in diesem Gedichte, „Der Tag", unternimmt, einen jungen Aristokraten zu unterweisen, wie er es anzufangen habe, um die vierundzwanzig Stunden des Tages standesgemäß auszufüllen, weiß er den Abscheu, den er selbst gegen dieses Treiben hegt, bei seinen Lesern mit erstaunlichem Geschick hervorzurufen. Durch die dramatische Behandlung des Stoffes wird die Gefahr ermüdender Eintönigkeit, die eine fortgesetzte ironische Darstellung nahelegt, aufs