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Lebende Bilder : eine ästhetische Studie.
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doch sehr zurücktritt. So ist es mit Rembrandts Sciskia, einer der Perlen der Kasseler Galerie. Wird sie als lebendes Bild gestellt, muß da nicht gerade das Beste verloren gehen? Angenommen, die Aehnlichkeit der Züge wäre eine vollkommene, muß nicht doch gerade der dem Bilde seinen wesentlichsten Gehalt gebende Ausdruck durch die der Erscheinung anhaftende Zufälligkeit verdrängt werden? Es war in der That nichts Anderes übrig geblieben als ein geschickt arrangirtes Costümbild, dessen Beleuchtung ein Rembrandtsches Cvlorit wohl ahnen ließ, aber weit davon entfernt war, es zu erreichen. Die Aufgabe des lebenden Bildes war eben nicht erfüllt und konnte es nicht sein: an Stelle der das Zufällige der Erscheinung beherrschenden, durch die in sie gelegte Gesetz­mäßigkeit zur Allgemeingiltigkeit erhobenen Schöpfung des Meisters saheu wir die Zufälligkeit der Erscheinung selbst.

Ganz anders wird das Verhältniß, wenn das Hauptgewicht der Darstellung auf die Situation fällt. Wenn nur der Ausdruck des Gesichtes zu ihr stimmt, so kommt es auf die vollkommene körperliche Aehnlichkeit nicht wesentlich an; der Ausdruck selbst aber kann um so leichter gestimmt werden, als eine greifbare Situation vorliegt, in die sich Jemand schon um deswillen mit sicherem Erfolg hineindenken kann, weil sie sich im Leben oft genug wiederholt. Zudem ist es unendlich einfacher, sich in eine Handlung von vorübergehender Natur zu versetzen, als in einen Charakter, in welchem ein ganzes Leben erscheint. Trotzdem also, daß das nächste Bild uns auch nur eine einzelne Persönlichkeit brachte, lag das Verhältniß doch gauz cmders, und dies bewirkte den bedeutenden Erfolg dieses Bildes. Es war Caravaggio'sLautenschlägerin"; über ihre Guitarre hinge- beugt lauscht sie den Tönen, die sie stimmt. Dazu kamen noch die für eine solche Wiedergabe so sehr viel günstigeren kräftig leuchtenden Grundfarben, die in ihrer trefflichen Zusammenstimmung eine köstliche Wirkung ausübten.

Die bedeutendste Kraft des lebenden Bildes wird sich jedenfalls in Com- Pvsttionen zeigen, welche eine dramatische Gruppirung darbieten. Gerade da tritt die beherrschende Gewalt des Künstlers ins schönste Licht. Fortwährend sehen wir die Menschen in Handlungen und Sitnationen zusammentreten, aber nur in den seltensten Fällen schließt sich eine Gruppe zu einem, bedeutenden Ganzen, das uns durch seine ästhetische Wirkung ergreift. Um so größer wird diese sein, wenn sie auch die Willkür der individuellen Beweglichkeit und das stets bereite Auseinanderlaufen nach Bedürfniß, Neigung und Laune unter eiue klar hervorleuchtende, das Einzelne im Interesse des Ganzen und seiner ästhetischen Wirkung unterordnende Gesetzmäßigkeit zwingt. Am klarsten tritt diese, dem natürlichen Entwicklungsgange der Kunst entsprechend, in den früheren Epochen hervor, besonders in den Zeiten, in welchen die Kunst noch im Dienste des Cultus steht und die mit der Auffassung deI Göttlichen als des ewig