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Christi, der meist übertriebeil schlanke Proportionen zeigt, völlig aufrecht auf den Knieen der Mutter sitzt, wie in dem Gemälde der Galleria Barberini zu Rom*) von Michel Angelo da Caravaggio, dem höchst wahrscheinlich auch ein eng verwandtes Gemälde der Bologueser Sammlung (Nr. 350) angehört, welches irrigerweise der Schule des Michel Angelo Bnonarotti beigelegt wird. Mit dieser unnatürlichen Gruppirung verbindet sich dann bisweilen das aus früheren Darstellungen entlehnte Motiv der erhobenen Hand der Madonna, wie in dem Gemälde des Jppolito Borghese zu Neapel. Von ungleich größerer Bedeutung, namentlich in coloristischer Hinsicht hervorragend, ist die Komposition des Ribera in der Kirche des Klosters S. Martino zu Neapel, in welcher Christi Leichnam, an dem die realistische Wiedergabe der Todtenfarbe wahrhaft überraschend ist, von Johannes gehalten, vorn am Boden liegt; hinter ihm faltet Maria schmerzbewegt die Hände, links oben erscheinen zwei herabschwebende Engel, rechts im Hintergrunde eine bärtige Greisengcstalt. Uebertroffen wird dieses Werk durch das in derselben Kirche befindliche, von dem neidischen Spagnvletto leider theilweise zerstörte Bild des Massimo Stan- zioni, welcher die beiden Hauptfiguren, die mehrere knieende Gestalten umgeben, im allgemeinen ähnlich anordnete, in Bezug auf Zeichnung jedoch und verklärte Wiedergabe des Schmerzes seinen Rivalen überflügelt.
Von der gleichzeitigen italienischen Sculptur finden wir ebenfalls die von Michel Angelo angewendete Gruppirung verlassen und an Stelle derselben mehr oder weniger an die Caracci und andere sich anlehnende und daher anch bloß malerisch wirkende Kompositionen. Zu den wichtigsten plastischen Pietadarflel-- lungen des 17. Jahrhunderts gehört die in der Krypta unter der Corsinikapelle im Lateran aufgestellte Gruppe, als deren Urheber, freilich ohne sichere Beglaubigung, Bernini genannt wird. Falls sie wirklich von Bernini stammt, hätte derselbe hier in auffallender Weise seine berüchtigten Principien verleugnet, denn das Werk zeigt, abgesehen von der malerischen Gruppirung, die es bloß für einen Standpunkt genießbar macht, eine verhältnißmäßige Einfachheit nnd Unmittelbarkeit der Empfindung, wie sie kaum in den Jugendarbeiten des Künstlers, in seinen späteren Werken nirgends zu Tage tritt, und ist namentlich in Bezug auf die Drapirung von den Ausschreitungen der letzteren weit entfernt. In der Art wie die beiden Gestalten mit einander verbunden sind, und in den Bewegungsmotiven findet sich Aelteres mit dem neuen Moment combiuirt, daß die Madonna stehend den Leichnam stützt, der im allgemeinen dieselbe Lage wie in dem einen Gemälde des Lvdovico Caracci einnimmt, nur daß er hier nicht am Boden, sondern ans einem erhöhten Sitze ruht. Liegt in der jugendlichen
*) 1, Zimmer Nr. 9,