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ihrer Meinung, Religion nnd Sittlichkeit zersetzenden Seepsis des Liberalismus gegenüber, viele Berührungspunkte. Mit der Lehre von der göttlichen Vvrherbestiinlnung ist die willenlose Unterwerfung der Ultramvntanen unter das Dogma ihrer Kirche, mit dem feudaleu Ständewesen die hierarchische Verfassung wohl vereinbar. Sollte nun eine solche Uebereinstimmung der Grundideen über das Wesen der Autorität die Veranlaffuug zu einem politischen Bündnisse der Hochkirchlichen und Klerikalen werden, so ist klar, daß Letzteren die Führung zufallen wird. Wer einseitig an die göttliche Gnadenwahl glaubt, muß in seinem Handeln, znnial wenn er getränkt ist von dem protestantischen Individualismus, der sich auf sich selbst zurückzieht und in feinem Kämmerlein betet, viel leichter zur Vereinzelung und Passivität gelangen als der Centrums- mauu, dessen Grunddogma den Anschluß des Einzelnen an die große katholische Gemeinschaft befiehlt. In diesem Schema kennt der Ultramontane keine Passivität; im Gegentheil, er ist der rührigste Agitator in msM-sw, cloi ZIoriiM. Jede Zeile der Geschichte lehrt dies. Die Organisation der Vereine, das System des „Unter uns" in fast allen ultramontanen Gesellschaften, Verwaltungen!c. ist hinreichend bekannt. Im Uebrigen wollen wir anerkennen, daß die Devotion vor der Autorität der positiven Kirchlichkeit, ja selbst der Jesuitismus, manche gute, sittlich werthvolle Resultate schaffen kann, wenn diese auch vor einer strengeren, also höheren Moral nicht bestehen können. Es ist interessant zu sehen, wie der Ultramvutcmismus sich über den Werth seiner Moral selbst täuscht und sich zur Entschuldigung seines Handelns oft mit Halbwahrheiten und handgreiflichem Doppelsinn durchhilft oder in seinen zu höherer Moral gereiften Männern sich schließlich mit der sophistischen Unterwerfung unter die Kirche, die Tradition oder das bekannte „Der Zweck heiligt die Mittel" beruhigt. Zum großen Schaden ihrer politischen Parteiorganisation, aber zn Ehren der Lauterkeit ihrer Moral befinden unsere Hochkirchlichen dem gegenüber sich praktisch im Nachtheil. Erkenntniß führt sie entweder zur Mittelpartei der aufgeklärten aber doch gläubigen Protestanten oder zum Liberalismus, jedenfalls zur Zersplitterung. Daß Kirchlichsein und Tvlerantsein Gegensätze sind, weiß der Ultramontanismus am besten, denn er ist nie tolerant, wo er nicht muß. Die katholische Kirche hat im Princip noch nie nachgegeben, mit alleiniger Ausnahme der Augsburgischen Konfession, aber sobald sich die erste Gelegenheit darbot, verwandelte sie das ssss in das tolowri xosss, und die Folge war der 30jährige Krieg. Consequenz: uusere Kirchlich-conservativen haben als politische Partei für die Kirchenvorlage nur zwei Wege: entweder mit dem Centrum zu gehen — und dann unweigerlich diesem die Führerschaft abzugeben — oder gegen das Centrum Front zu machen, trotz der Aehnlichkeit ihrer beiderseitigen metaphysischen Bedürfnisse.
Die cvnservative Partei, mit uralter preußischer Tradition, ist, wie immer ihre Schwächen sein mögen, eine Partei, die durchaus auf staatlich-nationalem Boden steht. Das Gegentheil gilt von den Römlingen des Centrums. Ihnen ist das kirchliche Leben so sehr mit dem staatlichen verquickt, daß sie beides nicht zu trennen vermögen, jedenfalls das staatliche hintansetzen, ja daß sie, wo sie in der Lage sind durch ihre Mitwirkung die Bemühung des Staates, der katholischen Bevölkerung den Frieden zu geben, zu unterstützen, auf Roms Befehl zum Kampfe rüsten und daher selbst den Schein auf sich zu laden sich nicht scheuen, mit der politischen Gesetzgebung, soweit es in ihrer Fractionsmacht steht, für von Rom dietirte Parteizwecke zu marchcmdiren. Die liberale Partei, welche das nationale Banner stets vorangetragen, hat man vielleicht des Irrthums aber nicht mit Recht der Reichsfeindlichkeit beschuldigen können. Sonach ergeben