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den diese mächtigen Umgestaltungen wie jede ihrer Art ausübten; er ist ganz einverstanden mit der Feindschaft, welche die Reichsorgane den großen Handelsgenossenschaften und ihrer „Monopolisirung" des Verkehrs entgegentrugen, während er wiederum die Erweiterung des deutschen Handels durch die Theilnahme an den portugiesischen Fahrten nach Afrika freudig begrüßt, die doch ohue jene Handelsgesellschaften, d. h. ohue die Entwicklung des Credits unmöglich gewesen wäre. Der „Abfall" von der kirchlichen Volkswirthschaftslehre gilt ihm für ebenso beklagenswert!) nnd verderblich wie die Kirchentrennung selber; er will uicht sehen, daß jenes gewiß in seiner Art großartige und einheitliche System eben auch nur eine vorübergehende Berechtigung hatte, weil es in den Zustände» einer ganz bestimmten Zeit wurzelte, daß demnach eine Behauptung desselben nur möglich war, wenn eine umfassende Zwangsgewalt dahinter stand, d. h. wenn die Kirche fortfuhr die staatlichen Gewalten zu beherrschen.
Da kann es denn nicht weiter Wunder nehmen, wenn bei Jcmssen die volks- wirthschaftlichen Zustände des ausgehenden Mittelalters, abgesehen von der Entwicklung des Handels, im rosigsten Lichte erscheinen, wenn namentlich anch die Lage der handarbeitenden Classen als überaus günstig dargestellt wird. Dies ist doch nur dadurch möglich, daß die vielfachen, schon seit etwa 145K hervortretenden localen Bewegungen des Bauernstandes, die nur aus hochgesteigerter Unzufriedenheit sich erklären, gar nicht in diesem Zusammenhange, sondern erst im zweiten Bande bei der Vorgeschichte der „socialen Revolution" znr Bespre- chnng gelaugeu. Sie erscheinen dann als veranlaßt durch die zuvor geschilderten Umwälzungen des socialen und politischen Lebens. Und doch tritt z. B. die Forderung der Abschaffung des römischen Rechts, dem Jcmssen eine Hauptschuld am Ausbruche der Bauernunruhen zuschreibt, erst im Würtemberger „Armen Konrad" (1514) auf, früher nirgends, sie kann also auf frühere Bewegungen derart einen merkbaren Einfluß nicht gehabt haben. Und was half die materiell oft günstige Lage des Landvolks, wenn es sich der Plünderung bei jeder elenden Fehde wehrlos preisgegeben sah?
Nirgends aber macht diese Schönmalerei, ja das Verschweigen unbequemer Wahrheiten sich stärker geltend, als in der Darstellung der kirchlichen Verhältnisse und dessen, was damit zusammenhängt. Sehr charakteristisch ist es schon, daß eine zusammenfassende Schilderung der Organisation der deutschen Kirche und ihres Verhältnisses zu Rom — Dinge, deren allgemeine Bekanntschaft doch nicht so ohne weiteres vorausgesetzt werden darf — vollständig fehlt. Diese Verhältnisse gaben nach der Anschauung des Verfassers überhaupt keimn Anlaß zu der tiefgehenden Gährnng, aus welcher die Umwälzungen des 16. Jahrhunderts sich entwickelten; nur einzelne unwesentliche Mängel werden zugegeben und sast nur gelegentlich und znm Theil in den Anmerkungen versteckt im Vor-