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Baden nach dem Schlusse der Kammern.
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geschrieben? Auf die Erklärung der Regierung, diesem Gesuche um Vermittlung zu entsprechen, erfolgte durch den Bischof Kübel unterm 12. Februar iu amtlicher Form die ausdrückliche Zurücknahme des Verbotes der Dispenseinholung. Die großherzogliche Regierung zog den ersten Gesetzentwurf zurück und legte einen neuen vor, welcher den Forderungen der Prüfungsconnnission in allen Stücken entsprach. Dieser zweite Entwurf, welcher die Staatsprüfung der Theologen ganz aufhob und von ihnen nur den Nachweis einer wissenschaftlichen Vorbildung forderte, wurde von der zweiten Kannner einstimmig angenommen, aber nach einer Sitzung, in der die Gegensätze aufs heftigste aufeinandergeplatzt waren, und in der sich die Reden der liberalen Abgeordneten Kiefer, Fieser, Fanler, Bär sich jede gegen den Ministerialpräsidenten Stößer, der entgegen dem sonstigen Brauche die Verhand­lungen mit der Curie allein geführt hatte, zu einem Mißtrauensvotum zuspitzte, dem man es klar genug anmerkte, daß es mehr als der Mißstimmung der liberalen Partei Ausdruck geben, mehr als nur verwunden, daß es vielmehr den schon lange mißliebigen Minister ans seiner Stellung vertreibe» sollte. Man sprach schon mit einer gewissen Zuversichtlichkeit von einen: Ministerium Lamey-Fieser, noch weiter­gehende nannten Lamey-Kiefer; die mindest mögliche Lösung schien in einem Ministerium Lamey-Turban zu liegeu. Aber die Debatte rauschte unter größter Spannung des Landes vorüber, ohne ihren Zweck zu erreiche». Herr Stößer blieb und hatte die Genugthuung, von der ersten Kammer, die dem Gesetzentwürfe eben­falls eine ganze Sitzung widmete, ein glänzendes Vertrauensvotum zu erhalten, indem dort jede Rede, besonders auch die Bluntschlis, mit dem Refrain schloß: Der erste Gesetzentwurf wäre uns lieber gewesen, und uur um des Zustandekommens des Ausgleichs mit Rom willen nehmen wir dieses uns weniger gut dünkende Gesetz an. Auch bewegte sich diese Beurtheilung in dem Rahmen streng sachlicher Diseussion, während die der zweiten Kammer einen überstark persönlichen Bei­geschmack gehabt hatte.

So war das Examcngesetz unter heißen Kämpfen zu Staude gekommen, und in Kammer, Presse und Land hätte nun wieder der alte friedliche Ton Platz greifen können. Aber statt sich des errungenen Sieges zu freuen und sachlich die uoch rückständigen gesetzgeberischen Arbeiten zu erledigen, vermochten es die Führer der liberalen Kannnermehrheit nicht, ihre leidenschaftliche Erregung zu bemeistern, so wenig, daß sogar eine persönliche Reiberei zwischen einem der Herren und einem Cvnstanzer Zeitungsv erleg er in einer durchaus uugehörigeu Weise vor das Forum der Kammer gezogen wurde. Als aber alle die versteckten und offenen Angriffe gegen Stößer nichts fruchteten, seine Stellung vielmehr uuerschütterlicher schien als je, und sogar Gerüchte auftauchten, daß er den freisinnigen und allgemein beliebten Turban aus seiner Stellung verdrängen werde und ein Ministerium Stößer-Marschall in Aussicht stehe, so suchte man, obwohl die letztere Annahme durch ihre eigne Lächerlichkeit sich als hinfällig erwies, noch durch einen Gewalt­streich Klarheit in die Lage zu bringen, zu dem, wenn man die thatsächliche Lage ins Auge faßte, durchaus keiue zwingende Nöthigung vorlag, um so weniger, als eine officiöse Kundgebung unumwunden erklärte, daß an allerhöchster Stelle keinerlei Veränderungen im Ministerium geplant seien. Obwohl hier augenscheinlich nur eine Veränderung in dem zuletzt angedeuteten Sinne gemeint sein und die amtliche Erklärung uach Lage der Sache nichts anderes besagen konnte, als daß der gemäßigt liberale Charakter dem Ministerinm erhalten bleiben solle, so gab man sich doch damit nicht zufrieden, und, wie ein Blitz aus heiterm Himmel, kam plötzlich ein Antrag des Abg. Kiefer, der von einer großen Anzahl anderer Ab­geordneten mit unterzeichnet war, zur Verlesung, es sollten die noch zu führenden Verhandlungen mit der Curie wegen der Wiederbeschung des erzbischvflichen Stuhles