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Beiträge zur Beurtheilung der Judenfrage : 2. Jakob- Israel. - Lichtstrahlen aus dem Talmud. - Deutsche Philosophen und die Juden.
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länder ein jenes schriftliche erklärendes und weiter ausspinnendes mündliches Gesetz, die Mischn« (deutsch: Wiederholung) entwickelte und von Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzte, welches, nachdem es zu Ende des zweiten Jahrhunderts n. Chr. von Rabbi Jehuda Hanassi und dessen Schülern ebenfalls schriftlich fixirt worden, seinerseits wieder zum Gegenstande gelehrter Ausdeutung und Ergänzung gemacht und gleichermaßen zuletzt niedergeschriebeu wurde. Dieser zweite Haupttheil des Talmud wird mit dem Worte Gemara (deutsch: voll­ständige Erklärung) bezeichnet, und die Gelehrten, deren Leistungen in ihm ver­treten sind, werden Amoraim, die, welche durch ihre Aussprüche zur Mischna beitrugen, Tanaim genannt. Die Gemara zerfällt in den jerusalemischen (rich­tiger palästinensischen) Talmud, der im vierten, und in den babylonischen, der vom Rabbi Aschi im fünften Jahrhundert n. Chr. zusammengestellt wurde, aber erst im sechsten zu vollem Abschlüsse gelaugte.

Der Talmud ist, wie wohl zu beachten, kein Religionsbuch, sondern eine Sammlung juristischer, nach orientalischer Art auf Theologie gegründeter und damit verquickter Betrachtungen. Er ist ferner in der Hauptsache ein Zeug­niß für den vorwiegend auf das Kleine gerichteten Geist, der fast alle jüdischen Gelehrten auch heute noch bestimmt und bewegt, ein Prvduct haarspaltender, Mücken durchseihender Scholastik, nüchtern und trocken bis zum Exeeß. Eine grübelnde, deutelnde Wortklauberei spann hier in casuistischer Behandlung zu- uächst der mosaischen Gesetze, dann der Ausdeutung des dabei gewonnenen neuen Gesetzvorrathes eine ungeheure Fülle von Geboten uud Verboten heraus, bei denen der ursprüngliche Zweck meist verloren ging, und die aus dem Mosais- mus eine reine Ceremonienreligion, einen Cultus des oxus oxsr^tum machten. Diese Scholastik oder Casuistik, die Halacha, bildet aber nur den Haupt­bestandtheil des Talmud und bezieht sich lediglich aus die Thora oder den Pen- tateuch. Neben ihr geht in denjenigen Stücken, welche als Haggad ah bezeichnet werden, und welche auch andere alte canonische Bücher berücksichtigen, das Resultat einer auf Erbauung und Unterhaltung gerichteten und oft recht phantastischen Thätigkeit her, die ihren Sitz nicht in den Akademien der Gelehrten, sondern in den Synagogen hatte und den schlichten Text der Bibel gewissermaßen homi­letisch erweiterte, ihn mit wunderlicheil Geschichtchen und Märchen umrankte und ihn mit einer buuteu Menge von Sprüchen und Bildern aus den Gebieten des Aberglaubens au gute und böse Geister, der Astrologie, der Medicin, der Eschatologie und der Messiashoffnungen, fowie mit zahlreichen Parabeln be­gleitete. Selbst Münchhauseniaden und andere barocke Einfälle fehlen nicht. Vieles ist geradezu läppisch. Andrerseits aber enthält die Haggadah hie und da auch eine beachtenswerthe Perle der Moral.

Wir bemerken noch, daß die Mischna in sechs Ordnungen (Sedarim) einge-