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Souveränetät errungen hatte, eingeführt, daß nicht gemischte Gerichte eingesetzt wurden, welche doch nie zur Anwendung kommen, sondern daß nach dem auch vom Fürsten Gortschakoff aufgestellte« Princip der Trennung der verschiedenen Nationen und Religionen zwei Gerichte, ein türkisches und ein christliches, neben einander bestanden. Der Jnstcmzenzug richtete sich nach der Person des Angeklagten: war dieser ein Türke, so ging die Sache an das türkische Gericht, war er ein Serbe, an das serbische. Hierdurch entstand eine Reciproeität der Rechtspflege, welche Ungerechtigkeiten uud Gewaltsamkeiten auf beiden Seiten verhinderte.
Ueberhaupt ist bei der Lage der Dinge unter den drei in unserm vorigen Artikel angegebenen Wegen zu einer Erleichterung der Lage der christlichen Bevölkerung ohne Zweifel der vorzuziehen, der nicht eine Vermischung der Populationen, welche von Türken und Christen in gleichem Maße verabscheut wird, sondern eine Absonderung derselben erstrebt. Nur auf diesem Wege wäre z. B. eine Heranziehung der Christen zur allgemeinen Wehrpflicht möglich; sie müßten eben eigene Regimenter für sich unter eigenen Commandeuren bilden. Die Gefahr, die der Pforte durch eine solche bewaffnete Organisation der christlichen Bevölkerung erwachsen könnte, wird dadurch mehr als paralysirt, daß nur so das Bewußtsein einer Zusammengehörigkeit in den Populationen der verschiedenen Theile des türkischen Reiches entstehen könnte.
Als drittes dringendes Erforderniß bezeichnet Ranke, daß den Gewaltsamkeiten ein Ende gemacht werde, welche mit der Eintreibung der Abgaben durch türkische Behörden verbunden sind; diese müsse ganz den christlichen Obrigkeiten, den Ortsvorstehern oder Knesen, überlassen werden. Am besten würde das dadurch geschehen, daß man für jede Provinz eine fest normirte Steuersumme (Tribut) festsetzte, etwa wie es in Aegypten geschehen ist, und dann die Ver- theilung und Eintreibung der Steuern im Einzelnen den Christen selbst überließe. Ohne Zweifel würde die Pforte selbst hierdurch finanzielle Vortheile erlangen, denn bei dem bisherigen Modus erhielt sie stets nur einen Theil der Steuern, ein anderer Theil verblieb in den Taschen der türkischen Paschas.
Ranke resümirt die Forderungen, die an die Pforte zu stellen wären, in den Worten: „Den christlichen Einwohnern der Türkei soll, wie die freie Ausübung ihrer Religion, so auch das Recht auf ihr Eigenthum gewährleistet sein; sie sollen Richter und Vorsteher von ihrer Religion und Nation haben."
Rechtlich sind diese Forderungen im wesentlichen durch die Verfassung vom 23. December 1876 erfüllt worden; ja diese Verfassung ist noch weit über dieselben hinausgegangen, indem sie die Befähigung aller Unterthanen der Pforte ohne Unterschied der Religionen zu allen Beamtenstellungen aussprach. Aber die Verleihung politischer Rechte hat so lange keine reale Grundlage und daher keinen Sinn, als die private Sicherheit der Christen nicht durch praktisch aus-