Unsere Grenze im Nordosten.
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Die russische Zeitschrift „Rußkaja Starina" begann vor einiger Zeit mit der Veröffentlichung einer Reihe von Erinnerungen an die Zustände und Ereignisse während des polnischen Ausstandes von 1863, die erst vor einigen Wochen abschloß. Diese Denkwürdigkeiten fanden zunächst in Rußland wenig und in Deutschland nur insofern Beachtung, als die „Deutsche Rundschau" dieselben für unser Publikum zurechtmachte. Dagegen trat eine Stelle des Schlußartikels dieser Mittheilungen sofort den Weg durch eine Anzahl deutscher Blätter an, und zwar einmal weil er sensationeller Natur war, dann weil er eine directe Anklage gegen den Fürsten Bismarck erhob, indem demselben schuld gegeben wurde, versucht zu haben, sich mit der polnischen Jnsurgentenpartei gegen Rußland zu verständigen, und weil mm: irrthümlich annahm, der Verfasser, der sich N. W. Berg nannte, sei eine hochgestellte Persönlichkeit, nämlich kein Geringerer als der Graf Friedrich Wilhelm Rembert v. Berg, einst Statthalter von Polen nnd am 18. Januar 1874 zu St. Petersburg verstorben. Die „Deutsche Rundschau" hatte schon im October vor dieser Verwechselung gewarnt, aber, wie das der journalistischen Oberflächlichkeit gegenüber zu gehen Pflegt, vergeblich; denn nicht bloß größere deutsche und österreichische Blätter wie das „Berliner Tageblatt" und die „Neue Freie Presse", sondern auch der polnische „Czas" und ein Correspondent des „Golos" beharrten — die letzteren beiden übrigens schwerlich aus Irrthum — noch um die Mitte des December bei der Meinung, die aus eiuem wenig bekannten jüdischen Journalisten und Parteischriststeller den wohlbekannten General und Statthalter gemacht hatte, der den vbengenannten Aufstand niederschlug uud dann die Russisiciruug Polens mit rücksichtsloser Strenge in die Hand nahm.
Aber auch die „Enthüllungen" jenes Berg selbst hatten, obgleich sie sehr bestimmt auftraten, keinerlei Anspruch darauf, auch nur annähernd wahrheitsgetreu zu sein, waren vielmehr perfide Erfindung. Nach denselben sollte im Jahre 1865
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