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So sprach der Abgott der Demokraten von einem Manne, von dem man allem Anschein nach glauben mußte, Humboldt sei ihm mit innigster Neigung zugethan. Schneider gewöhnte sich später an diese hämische Unterhaltungsweise der Excellenz, konnte aber in seiner Arglosigkeit und bei seiner Verehrung vor Hnmboldt immer noch nicht fürchten, daß dessen Maliee sich auch gegen ihn selbst richte. Erst nach Humboldts Tode und nach dem Erscheinen der Varu- hagenschen Briefe bekam er den Beweis in die Hände, daß die Freundlichkeit des großen Mannes auch ihm gegenüber eine gezwungene und der Deckmantel von Uebelwvlleu und Geringschätzung gewesen waren. Schneider empfing damals von Karl v. Holtet iu Breslau folgendes Schreiben:
„Unter deil von Ludwig Tieck hinterlassenen Briefschaften, welche ich auf den Wunsch seiner Tochter für den Druck ordne, befinden sich allerlei Morgen- billetchen Alexanders v. Humboldt, in denen es, wie Sie denken können, nicht an solchen fehlt, wo die Krallen aus deu sammtenen Katzenpfötchen herauskratzen. Wiewohl ich nun weit entfernt bin, dergleichen Neckereien dem Herzen des großen Mannes anzurechnen, sondern sie vielmehr mit einer ihm zur zweiten Natur gewordenen Gewohnheit") entschuldige, bin ich doch fest entschlossen, alles wegzulassen, was den durch Varnhagen schon mehr als zu viel Verdächtigten noch weiterhin verdächtigen könnte. Ich zweifle nicht, daß er auch Ihnen, wenn er beim Könige mit Ihnen zusammentraf, stets nur das streichelnde Sammet- pfötchen gezeigt haben wird, sodaß Sie sich vielleicht durch beiliegende Spuren der Krallen unangenehm berührt fühlen. Jedenfalls ist es besser, daß diese kleine Perfidie unter uns bleibt, und ich war schon vor acht Tagen, wo ich diese Zeilen dechiffrirte, entschlossen, sie Ihnen zu übersenden — zu beliebigem Gebrauche."
Der beiliegende Brief Humboldts an Tieck lautete: „Theurer, verehrter Freund! Eine starke Erkältung, die mir die nothwendigen und häufigen Eisenbahnreisen zugezogen, hiudert mich heute, Ihnen das Hohe Lied selbst zu bringen. Ich habe heute wieder auf mehrere Briefe und Korrespondenzen des vortrefflichen Dr. Böttcher freundlichst geantwortet. Der Mann träumt poetische Vorlesungen, wo es sich um Sein und Nichtsein handelt, und wo die ,größte Wonne' (wir hatten sie noch gestern) das jämmerliche Pathos und die bühnenhistorischen Späßchen des patriotischen und militärischen Schauspielers Schneider sind. Ich gehe unter. Sie rettet geistig Ihre Einsamkeit. Mit alter, unverbrüchlicher Verehrung Ihr Humboldt."
Die Anführung der Anerbietungen eines Dr. Böttcher und der Ausruf des Königs: „Es ist meine größte Wonne, wenn Schneider uns etwas vorliest",
*) Die aber doch wohl nicht in den Fingerspitzen oder der großen Zehe, sondern im Herzen Platz genommen hatte.