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Aus Louis Schneiders Memoiren : 2. Schneider über A. v. Humboldt.
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Abendunterhaltungen des Hofes gewesen. Jede Besprechung geistiger Dinge hatte sich um ihn als um ihren Mittelpunkt, ihren Anreger und Hauptwort­führer gedreht. Da er gut und mit einer ungewöhnlichen Treue des Gedächt­nisses sprach, so redete er auch gern und viel, und so war es ihm etwas Un­gewohntes und Unliebsames, wenn sich erst dann und wann, später regelmäßig einmal die Woche die Aufmerksamkeit eines ganzen Abends nicht auf ihn, son­dern auf eine andere Persönlichkeit richtete, die über das bloß maschinenmäßige Vorlesen hinaus auch durch Gespräch, Erzähluug und eigne Auswahl des zu Lesenden das Interesse des Königs fesselte, der doch nach Recht und Herkommen mit seinem Ohr einzig uud allein ihm, Humboldt, gehörte. So ungefähr suchte der Verfasser anfangs den Aerger und den Widerwillen zu verstehen, die der große Mann nach Aussage Dritter gegen ihn empfand. Er ist indeß nicht sicher, daß er richtig gerathen.Vielleicht," so meint er,hatte ich auf irgend eine andere Weise sein Mißfallen verdient. Aber," fragt er, ohne sich die Frage beantworten zu können,warum war er dann so freundlich gegen mich? Er, der berühmte, beneidete, mit allen Vorzügen überhäufte Mann, gegen einen un­bedeutenden Menschen?"

Später, als die Varnhagenschen Aufzeichnungen von Ludmilla Assing ver­öffentlicht worden waren, begriff Schneider auch diese Freundlichkeit, und die Auflösung des Räthsels lautete: gewohnheitsmäßige Verstellung. Der Verfasser unsrer Memoiren kommt darauf bei Gelegenheit eines etwas peinlichen Vor­falles zu sprechen, den wir kurz mittheilen wollen, obwohl er mit Humboldt uichts zu thun hat. Alle Ostern übersendete die Berliner Porcellanfabrik, die bekanntlich Staatsanstalt ist, dem Könige eine Anzahl vorzüglich schön gemalter Ostereier von Porcellan, die der Monarch dann während der Feiertage an Mitglieder seiner Familie oder andere Personen seiner nächsten Umgebung zu verschenken pflegte. Nun war er einst an einem Ostertage allein nach Potsdam gekommen, hatte Schneider zu einer Vorlesung auf dem Stadtschlosse besohlen und dazu nur Offiziere einladen lasten. Nach dem Souper, an welchem der Vorleser theilnahm, wurde dem Könige ein Kasten mit zwölf solchen Porcellan­eiern gebracht, weil die Zahl der Anwesenden gerade zwölf betrug. Jeder ein­zelne der Generale und Stabsoffiziere, welche am Tische saßen, erhielt ein solches Ei, auch der gleichfalls gegenwärtige Cabinetsrath Niebuhr bekam eins, nur Schneider ging leer aus. Als daher ein Ei übrig blieb, sah der König sich am ganzen Tische um, wobei er auch Schneider einen Augenblick fixirte, und dann sagte er:Es ist noch eins übrig. Da, Niebuhr, Sie sollen zwei haben." Schneider gesteht, sich gewundert zu haben, daß er bei der Austheilung nichts bekommen. Das Ei, so meint er, wäre kein werthvolles Geschenk, wohl aber eine Aufmerksamkeit gewesen. Er versucht sich den sonderbaren Vorgang damit