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Zum Gedächtnis Victor Emanuels : (✝den 9. Januar 1878) : (Schluß.)
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Ich hatte stets eine besondere Zuneigung und Ergebenheit für die Person Seiner Heiligkeit und bedcmre es, wenn ich durch irgend eine, meiner Handlungen dem heiligen Vater persönlich Mißvergnügen bereitet habe. Aber bei Allem, was ich that, hatte ich stets das Bewußtsein, meine Pflicht als Bürger und Fürst zu erfüllen und mich dadurch in nichts gegen die Religion meiner Väter zu vergehen." So hatte die Cnrie auch dem sterbenden Könige gegenüber den Proceß verloren, und die krampfhaften Anstrengungen, denselben als einen ge­wonnenen darzustellen, brachten ihr nur Spott und Verachtung.

Der König hatte den Kronprinzen und dessen Gemahlin an sein Lager rufen lassen. Seine letzten Worte an den Sohn waren:Ich empfehle dir Festigkeit, Liebe zum Vaterlande und der Freiheit." Dann wurde die tiefe Stille nur noch einmal durch den Ruf des Sterbenden: Die Kinder! Die Kinder! und durch das Schluchzen der im Zimmer Knieenden unterbrochen. Der König, bei vollem Bewußtsein, war ruhig und gefaßt.Er starb wie ein Held." Um halb drei Uhr war der kurze Tvdeskampf zu Ende; Dr. Bruno drückte dem Entseelten die Augen zu und rief laut:Der erste König von Italien ist ge­storben!" Es war genau ein Lustrum nach dem Tode seines Freundes, des Exkaisers Napoleon iu Chislehurst.

Gegen vier Uhr verbreitete sich die Nachricht in der Stadt. Der Eindruck war eiu ungeheurer. Das Volk stand dein Ereigniß fassungslos, wie betäubt gegenüber. Nicht nur Weiber und Kinder, auch ernste Männer weinten laut. Und als der Telegraph die Todespost über die ganze Halbinsel trug, erhob sich eine Wehklage von den Alpen bis zum Aetna, und eine Nationaltrauer folgte, so allgemein, so tief, so echt und würdig zugleich, daß sie das ganze zuschauende Europa mitergriff.Heute," konnte ein italienisches Blatt mit Recht ausrufen,giebt es keine Hütte und keinen Palast zwischen Alpen und Meer, in dem nicht die Worte: ,Victor Emcmuel ist todt!^ eiu tiefschmerzliches Echo hervor­riefen."Italien betrauert ihu, wie nie ein König betrauert worden ist." Und dasselbe Echo erklang in allen Tonarten in der italienischen Presse aller Partei- schattirungen. Selbst die klerikalen Blätter änßerten sich theilnehmend ohne Zweifel auf höheren Befehl. Den Schmerzenslauten Italiens antwortete ein mächtiger Wiederhall von jenseit der Grenze» des Königreichs, zumal ans unserm Vaterlande. Nur die ultraklerikale und reactionäre Presse, wie dieGermania", das WienerVaterland", der llnivms und verwandte Geister machtendem Werkzeuge der kosmopolitische» Revolution" gegenüber eine Ausnahme.

Inzwischen waren die Familienglieder mit Ausnahme der Prinzessin Clotilde uud die Vertreter der fremden Höfe, unter ihnen der Erzherzog Rainer und der deutsche Kronprinz eingetroffen. Daß der erstere, ein naher Verwandter

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