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Zum Gedächtnis Victor Emanuels :
(✝den 9. Januar 1878.)
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offen oder heimlich, in Revolutionen, Verschwörungen oder in stillem geistigen Schaffen im Kampfe lagen: das Carbonarithum, Mazzini und das junge Italien mit all den zahlreichen Opfern, welche der große Agitator von 1833 bis 1857 auf die Schlachtbank der Despoten lieferte, die Ugo Foscolo und Mcmzoni, Cesare Balbo und Gioberti, die Gelehrten und Dichter als Träger der Unab­hängigkeitsidee, dann Pius IX. in seinen ersten glanzerfüllten Regierungsjahren, Karl Albert und die reformirenden Fürsten, endlich die fanatischen Republikaner von 1848 und 1849. In den letzten 30 Jahren aber sind es vor allem drei große Namen, an die sich die Geschichte der Schöpfung des neuen Nationalstaates knüpft: Garibaldi, Cavour und Victor Emanuel.

Man hat vielfach gesagt, die erschütternde Klage, welche am 9. Januar 1878 die ganze apenninische Halbinsel vom Kamme der Alpen bis zum libyschen Meere durchtönte, habe nicht der Person des Königs, sie habe dem Namen ge­golten, der seit 30 Jahren das Feldgeschrei der Patrioten, das Symbol der italienischen Einheit, Unabhängigkeit und Freiheit gewesen war; Vietor Emanuel sei mehr vom Geschick als vom eignen Geiste gehoben und getragen worden. Die folgende Darstellung wird hoffentlich zeigen, daß, wenn der erste König von Italien keine jener genialen Naturen war, die selbständig bahnbrechend ihrem Volke den Weg weisen, seine Persönlichkeit doch von der größten Bedeu­tung für das gewaltige Werk gewesen ist, welches unter seiner Regierung und in seinem Namen geschaffen wurde.

Vietor Emanuel wurde in Turin am 20. März 1820 als ältester Sohn des Prinzen Karl Albert von Carignan geboren. Sein Vater, der durch die Rolle, die er bei der piemontesischen Revolution von 1821 spielte, beim Könige und der herrschende» österreichischen Partei mißliebig wurde, mußte seine Hei­mat verlassen und fand ein Asyl bei seinen tosecmischen Verwandten auf dem Lustschlosse Poggio Jmperiale, zu dem die stattliche Allee altehrwürdiger Cypres- sen von dem römischen Thore von Florenz hinaufführt. Dort wurde der kleine Prinz nur durch den Heldenmuth seiner Wärterin, die ihr eigenes Leben für ihn zum Opfer brachte, vor dem drohenden Verbrennungstode gerettet. Schon in den ersten Lebensjahren traten in dem Kinde deutlich die Anlagen zu den Eigenschaften hervor, die später den Mann charakterisirten. Als dreijähriger Knabe zog er das Soldatenspiel jedem andern vor, liebte das wilde Umher­springen im Freien mehr als das Stubensitzen, faßte aber schnell und hielt das Gelernte fest im Gedächtniß.Außerordentlich lebhaft, gelehrig, liebevoll, ist er meine ganze Wonne", schreibt seine Mutter, die treffliche Maria Benedetta, die Tochter des Großherzogs Ferdinand III. von Toscana, die zur Zeit ihrer Rückkehr nach Piemont, als seine einzige Lehrerin, dem vierjährigen Knaben bereits das Lesen beigebracht hatte. Seine späteren Lehrer waren nach italie-