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Hie Wagner! hie Schumann!
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Man braucht keiu Anti-Wagnerianer, man braucht auch kein specifischer Schmnanniauer zu sein, um einen rechtschaffenen Unwillen über dieses ekelhafte Parteigetriebe zu empfinden. In unserm hastenden, daiupfgetriebenen, tele- graphireudeu und telephonirenden Jahrhundert erscheint der naturgemäße Gang der Dinge als schneckenhafte Langsamkeit; man kann eine ruhige Entwicklung nicht erwarten und glaubt überall nachhelfen zu müssen. Niemand wird bestreiten, daß Waguers dramatische Arbeiten (wie er sie selber gern nennt) sich immer wachsender Gunst des Publikums zu erfreuen haben, und der Verfasser dieser Zeilen erkennt ausdrücklich die Berechtigung dieser Gunst an. Wer aber möchte behaupteu, daß diese wachsenden Sympathien eine Folge von Wagners Angriffen gegen seine Zeitgenossen seien? Er hätte nicht nöthig gehabt, eine ganze Reihe namhafter Cvmponisten, die in der' Gunst des Publikums warm saßeu, auf einmal abzuschlachten, indem er ihnen Wahrheit und Echtheit künstlerischen Empfindens, einfach darum absprach, weil sie Juden waren. Die Welt wurde um eine sensationelle Broschüre reicher, aber die Damen klimperten nach wie vor MendelssohnsLieder ohne Worte", und Meyerbeers Opern beherrschten nach wie vor das Repertoire der Opernbühnen, und die jungen Cvmponisten lernteil nach wie vor von beiden, wie Wagner selbst von ihnen gelernt hat. Nicht der schriftstellernde Wagner nein, der Komponist Wagner hat Meyerbeer aus dem Felde geschlagen, aber nicht plötzlich, sondern ganz allmählich, auf dem Wege naturgemäßer Forteutwicklung des musikalischen Geschmacks und musikalischen Verständnisses; das heißt, jener gewaltsame Conp hat seinen Effect verfehlt nnd nur einen trüben Flecken auf dem Bilde Wagners selbst hinterlassen. Hente beherrscht Wagner in noch höherem Grade das Repertoire der Opernbühneu als ehedem Meyerbeer, weil das Publikum gegenüber Wagners poetischer Ge­staltungskraft und Intensität der Empfindung die Hohlheit des Meyerbeerschen Pathos hat begreifen lernen nnd seiner Abgeschmacktheiten überdrüssig geworden ist. Herausgerissen aus dem Zusammenhange des Stücks, losgelöst von dein Worte des Dichters, wird aber doch auch heute noch manche Nummer aus Meyerbeers Opern Bruchstücke von WagnersMusikdrameu" aus dem Felde schlagen, weil die specifisch musikalische Gestaltung bei Meyerbeer einen nicht zu unterschätzenden Schwung hat. Dank diesem festen musikalischen Kerne, dank besonders der Prägnanz Meyerbeerscher Rhythmen, die wahrhaftig nicht ohne Wirkung auf Wagners Entwicklung geblieben sind, hören wir auch heute noch von Zeit zu Zeit gern einmal dieHugenotten" oder denPropheten" trotz der Jämmerlichkeit der Libretti lind der massenhaft unterlaufenden Stilwidrigsten und sinnlosen Effeethaschereien. Mag man aber auch Waguer den Angriff auf Meyerbeer verzeiheil als einen Versuch, den unbequemen Cvncurrenten zu beseitigeil, so erscheint dagegen sein Angriff auf Mendelssohn in dieser Hinsicht zwecklos;