Das vergangene Jahr.
Wieder ist ein Jahr verflossen, das neunte seit den großen Tagen, in denen unter Kriegsgewittern das deutsche Reich in neuer Gestalt wiedererstand, um die Nation politisch, social und wirthschaftlich zusammenzufassen, zu stärken und zu sichern und für Europa die Macht zu werden, die den Weltfrieden erhält. Groß waren die Aufgaben gewesen, welche der Regierung und der Volksvertretung in den Jahren vor 1879 von den Verhältnissen und Bedürfnissen der Neuschöpfung gestellt wurden, groß fast nach allen Richtungen hin in den innern nnd äußern Fragen auch die Leistungen und Erfolge. Nicht minder Bedeutendes hat uns das vergangene Jahr gebracht, und was auch Parteistimmen tadeln und befürchten mögen, alle Unbefangenen haben das Gefühl, alle Sachkundigen die Ueberzeugung, daß wir noch immer im Aufsteigen begriffen und seit den letzten zwölf Monaten eine gute Strecke vorwärts gekommen find.
Der Kampf der Staatsgewalt mit den ungerechtfertigten Ansprüchen des Ultramontanismus hat noch nicht zu dem vielfach ersehnten Frieden geführt, doch hat seine Heftigkeit nachgelassen, und es ist Hoffnung vorhanden, daß beide Theile in nicht zu ferner Zeit zu einer Verständigung gelangen werden, zumal da Rom, obwohl unzweifelhaft eine Großmacht in seiner Art, den Gegnern gegenüber, die ihm in den letzten Jahren auch in den beiden westlichen Nachbarländern erstanden sind, keineswegs allmächtig ist.
Die socialdemokratische Bewegung, welche sich gegen das Eigenthum richtete und den Staat in Commuuen zu zersplittern vorhatte, ist auf gesetzlichem Wege zum Haltmachen gezwungen worden, und wenn von vornherein anzunehmen war, daß es noch fortgähren würde, und wir in den Wahlen jetzt gelegentlich noch Beweise dafür erhalten, so ist wenigstens dem Lärmen und Sich-Brüsten der Führer und ihrer bethörten Herde Nnhe geboten. Lärm und Großsprecherei aber sind die Lebensluft und das Hauptmittel zur Ausbreitung für diese Partei. So dürfen wir uns zuversichtlich der Erwartung hingeben, daß die Bewegung in ihrer jetzigen Eindämmung zunächst nicht weiter wachsen und allmählich sich be-
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