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Me Lage in Baden nach der Kammereröffnung.
Durch die im vorigen Monat wieder aufgenommene parlamentarische Thätigkeit der Kammern ist in das politische Leben Badens, das durch die Wahlen in einem kaum bemerkenswerthen Grade erregt worden war, wieder etwas mehr Bewegung gekommen, nachdem sie auch hier uuter dem Einflüsse der politischen Uebersättigung des letzten Jahrzehnts bedenklich ins Stocken gerathen war. Kein Wunder, denn das staatsbürgerliche Gefühl wnrde von vornherein an den empfindlichsten Stellen berührt durch den kirchenpvlitischen und durch den finanziellen Passus der Thronrede. Die kirchenpolitische Frage hat in Baden mit seiner zu zwei Dritteln katholischen Bevölkerung eine höhere Bedeutung als fast in allen andern Staaten des deutschen Reiches. Der Kulturkampf ist hier auch älter und wird von beiden Seiten mit größerer Heftigkeit geführt als anderswo; er durchdringt hier alle Beziehungen des öffentlichen Lebens und nimmt besonders in Folge einer nahezn unerklärlichen Vorliebe einzelner hervorragender liberaler Parteimitglieder für denselben auch da, wo sonst die Politik die Hauptsache zu sein pflegt, die erste Stelle ein. Erhöht war die allgemeine Reizbarkeit noch durch das lange andauernde kircheupolitische Fragespiel: „Er liebt mich, liebt mich nicht", in welchem stets dem letzten Blatte noch ein weiteres folgte, und durch die Gerüchte, die über die Absichten der Regierung und die Haltung des Ministeriums des Innern lant geworden, und durch die auf der einen Seite die Hoffnungen, auf der andern die Befürchtungen in hohem Grade gesteigert worden waren. Beiden gab scheinbar die Thronrede, mit der am 18. v. Mts. die Kammer» eröffnet wurden, einen ersten festen Anhaltepunkt, der, unabhängig von den übrigen Staaten, hier eine befriedigende Lösung in nahe Aussicht zu stellen schien. Wie der Förderung der öffentlichen Wohlfahrt, so hieß es dort, wird die großherzogliche Regierung „mit gleicher Aufmerksamkeit ihre Fürsorge sowohl den wirthschaftlichen Zuständen des Landes, als den religiösen, sittlichen und geistigen Interessen des Volkes zuwenden, und es wird, so hoffe Ich, den auf den Frieden gerichteten Bestrebungen meiner Regierung gelingen, auch die bis dahin noch nicht erledigten Fragen in dem Verhältnisse der katholischen Kirche ihrer Lösung näher zu bringen". Diese Worte, aus dem Munde des Großherzogs, von der ultramontanen Partei (gcmz gegen die Gewohnheit des badischen Landtages) mit einem dumpf verhallenden Bravo begrüßt, erregten im Lande und besonders innerhalb der liberalen Partei, die zum nicht geringen Theile jedem Ausgleiche mit