— 322 —
bestimmung (Autonomie) dem Sittengesetz gemäß handeln, heißt moralisch handeln. Diese Fähigkeit unterscheidet den Menschen vom Thiere. Hieraus folgt aber, daß jede moralische Handlung, soweit sie aus einem Willen nach Sittengesetzen hervorgeht, nicht unter dem Naturgesetze stehen kann. Die moralische Handlung als solche hebt das Naturgesetz auf.
Dasjenige, was in einer Handlung spezifisch sittlich ist, kann niemals in den Umständen, sondern nur in der Person liegen. Alle Sittlichkeitsakte fallen, sobald sie in die Erscheinung (Wirkung) treten, sofort unter das Kausalgesetz (sie werden Natur), aber ihrer Ursache nach in der sittlichen Persönlichkeit sind sie frei von allem Sinnlichen. So hoch steht die sittliche Persönlichkeit über allen Sinnesimpulsen, daß sie befähigt ist, das Leben, ihre eigene sinnliche Erscheinung, zu verneinen, sobald es darauf ankommt, eine höhere Qualität als ihre Erscheinungswelt zu retten. Zwei verschiedene Personen werden sich beim Herantreten der gleichen äußern Umstände entgegengesetzt entscheiden. Die Gründe hierfür liegen sowohl in dem Mysterium der Person als einer geschlossenen Totalität, als auch in der freien Persönlichkeit, welche diese Totalität nur als das sinnliche Objekt ihres Kriteriums nach dem Sittengesetze auffaßt. Die Entscheidung hängt praktisch zum Theil von den in jeder Person nothwendig kombinirten hereditären Willensimpulsen ab, zum Theil von der Entschließung eines Willens, der frei von aller Sinnlichkeit ist. Wäre es möglich, wie dies in der Theorie gestattet ist, alle Handlungen nur vor den Richterstuhl der sittlichen Entscheidung gelangen zu lassen, so müßte der sittliche Wille stets erfüllt werden. In der einzelnen Handlung ist, wie schon Kant bemerkte, das eigentlich Sittliche nur dann und nur da zu finden, wo, entgegen den hereditären Impulsen, der Jndividualwille aus Achtung vor dem selbsterkannten Sittengesetz sich bestimmt. Wenn ein Geiziger aus Pflicht sich zu einer mildthätigen Handlung zwingt, so hat dies sittlichen Werth, thut es ein freigebiger, wohlthätiger Charakter in Folge hereditärer Disposition, so ist es sittlich ohne Bedeutung für diese Person. Sittlichkeit ist die Veredelung der hereditären instinktiven Person aus Achtung vor dem Sittengesetz zur freien Persönlichkeit. Diese betrachtet das, was sein soll, als die durch ihre theoretische Vernunft, sobald sie in die Erscheinung (Wirkung) tritt, zu begreifende, ihrer Ursache nach aber nur in Freiheit zu erfassende Aufgabe einer Welt, die nicht Natur ist. Um das zu können, um die Wirkung zu begreifen, um im Spezialfall zu entscheiden, was Pflicht sei, dazu bedarf es also nicht schwärmerischer und enthusiastischer Duselei, sondern rationaler, verstandesmäßiger Erwägung und Selbstbestimmung, nicht des Sensualismus, sondern des Rationalismus.
Gesetzlichkeit läßt sich befehlen, aber nicht Sittlichkeit. Kein Staat, keine