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durch alle Kunst, die mittelalterliche ebensogut wie die antike, gehende Kompositionsgrundsatz des Parallelismus und der Korresponsion gewahrt wird. Entsprechen einander die beiden Prophetengestalten Daniel und Aaron, sodaun die beiden Könige mit der zugehörigen Frauengestalt, so darf man schließen, daß auch dem Täufer eine verwandte Gestalt gegenübersteht, und da bietet sich denn der Evangelist Johannes am natürlichsten dar.
Große Mühe hat sich Heuchler mit der Deutung des figürlichen Beiwerkes gegeben, welches zu den Füßen der acht Statuen und über dem Sims angebracht ist. Den Löwenkopf zu Daniels Füßen deutet er auf das Wunder Daniels in der Löwengrube, die beiden sich schnäbelnden Tauben im Abschluß der Nische, als Sinnbild der Liebe, Unschuld, Sanftmuth, auf die Tugenden der christlichen Kirche. Den Affen an der Fußplatte der Königin von Saba bezieht er auf das ferne Vaterland und den Luxus, mit dem die Königin am Hofe Salomo's erschien, den männlichen Kopf in der Nische auf das Gefolge der Königin. In der phantastischen Thiergestalt zu Salomo's Füßen will er das goldene Kalb erkennen, das sich auf den späteren Abfall Salomo's vom wahren Gott beziehen soll, der lächelnde Kopf an der Nische soll den Beifall des Hofes bei dem Abfall Salomo's zur Abgötterei ausdrücken. Den jugendlich weiblichen Kopf an der Fußplatte Johannes des Täufers bezieht er auf das Volk Israel, welches künftig getauft werden soll, der Widderkopf im Abschluß der Nische soll entweder auf das Hirtenvolk gehen, dem Johannes entstammte, oder eine Hindeutung auf den Widder enthalten, den Abraham anstatt seines Sohnes opferte. Den Akroterien gegenüber, welche über dem Hanptgefims der Säulen und Pfeiler angeordnet sind — sie stellen sämmtlich jugendlich männliche und weibliche Oberkörper dar —, scheitert selbst Heuchlers Jnterpretationskunst. Frühere Ausleger hatten hier an Schreckgestalten gedacht, oder an gute und böse Geister, die sich paarweise einander gegenüberstehen und einander entgegenwirken. Heuchler meint, sie möchten wohl „auf die ewige Jugend der christlichen Kirche hindeuten". Sicherer fühlt er sich wieder den phantastischen, aus Löwe un? Drache zusammengestellten Thiergestalten gegenüber, die die innersten Akroterien am Thürsturz bilden. Unter dem Löwen habe man sich das Licht, unter dem Drachen die Finsterniß zu denken, und da die beiden verbundenen Gestalten sich jedesmal mit ihren Vorderfüßen bekämpfen, der Löwe aber eine feste Stellung am Eingange genommen habe, so sei der Sieg des Lichtes über die Finsterniß ver- sinnlicht. Als den Hauptgedanken endlich, der in der Dekoration der Pforte sich aussprechen soll, bezeichnet es Heuchler, „die christliche Gemeinde auf die Gnade Gottes hinzuweisen, die ihr durch Christi Erscheinung zu Theil geworden ist, und durch welche sie auf die Auferstehung des Leibes hoffen darf".
Wir verzichten darauf, all' diesen mühseligen Deutungsversuchen noch weiter Grenzboten IV. 1879. 30