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Mörike meiner Ansicht nach das Feld seiner eigensten Begabung, mehr noch als selbst in der eigentlichen Lyrik. Schon die Stoffe — wie ganz spezifisch Mörikisch! Diese „Sommerwesten", diese musikalische, erinnerungsreiche Gartenthür, diese Schnakenjagd! Und vor allem der „Thurmhahn"! Und nicht minder dem Dichter eigen ist die Form, die nicht sowohl starke Effekte als feinste Nüancirung begünstigt. Im gewöhnlichen Gesprächstone, als ob von Poesie gar nicht die Rede sei, hebt er an, aber unmerklich schmiegt sich die Sprache jeder Stimmung an, weiß sie zu jeder sich zu erheben. -Das ist, so verschieden sie sonst sind, den Knittelversen des „Thurmhahns" und den antiken Metren gemeinsam. Der Dichter braucht keiue zu hoch gespannte, keine überflüssige Empfindung aufzuregen, weil er sicher ist, die uatürliche, nothwendige in jedem Augenblicke zu wecken. Welche Wirkung thut an seiner Stelle das eine Wort „Sternenlüfteschwall" im Thurmhahn! So genau gehören hier Form und Inhalt zusammen, daß man nicht ohne Bangen daran denken kann, was aus diesen Stoffen, z. B. den „Sommerwesten", unter andern Händen geworden wäre, aus Stoffen, die nur eine vollkommen wahre Beleuchtung vertragen und doch eine so warme brauchen, um interessant zu sein. Es ist häufig die Erinnerung, die ihnen dieses warme Licht gibt, oder der Gedanke, daß sie bald der Erinnerung angehören werden. Aber wie rein erklingt dieser Ton der Wehmuth, und wie zart! Milde Resignation ist ihm gesellt, und er verträgt sich mit einem kerngesunden Humor. Ja gerade in dem „reizenden Jn- einanderspiel von Ironie und Wehmuth" liegt zuweilen der zarteste Reiz, wie dies Strauß an dem „Besuch in der Carthause" feinsinnig entwickelt hat. Auch das tragische Motiv des Todes in der Jugendblüthe, das jetzt bedeutsam hervortritt, rückt der Dichter in ein solches Widerspiel von Licht und Schatten, kontrastirt den Sonnenglanz des Lebens — zart, aber wunderbar ergreifend — nicht mit dem Tode, sondern mit der Todesahnung, wie in dem Lied „Denk' es, o Seele", so in dem Gedicht „Erinna an Sappho". Wie sich jenes an den Ton böhmischer Volkslieder, dieses an die Reste griechischer Lyrik glücklich anlehnt, so trifft er, wo ihn ein äußerer Anlaß noch einmal zu Ballade und Volkslied zurückführt"), mit Sicherheit jedesmal den angemessenen Ton, in der „Ritterlichen Werbung" den kurzangebundenen des englischen Vorbildes^), in „Jedem das Seine" den Ton der raschen Tanzweise und das slavische Kolorit. Eines Sich- eingewöhnens bedarf es bei den späteren Gedichten, so eigenartig sie sind, viel weniger als bei den früheren; aber wenn Klaiber sagt, daß sie weit allgemeiner bekannt seien, so stehen meine Erfahrungen damit im Widerspruch. Nicht
*) Vgl. Notier: Ed. Mörike, S, 23.
**) Vgl. IKe Ls^'s Oxers,, S> dool? ok olä rkz^mes nitk nev äreZSW bz? ^VÄtsr Osme. London K New-York (1876) S- 48.