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Münchener Künstler- und Kunst-Verhältnisse.
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besprocheneChristus im Tempel" von Lieb er mann. Durch die Aufnahme dieses Bildes hat die Jury den Beweis geliefert, daß sie der Mehrzahl nach dem Prinzip huldigt: Verherrlichung des Häßlichen durch die Kunst. Wäre dem nicht so, dann wären Bilder wie das Liebermannsche eben nicht für würdig erachtet worden, als mustergiltig in der Ausstellung zn hängen. Ebenso ist es für jeden Beschauer unverständlich, wie von den absonderlichen, lediglich auf Sensation berechneten, spinat- und indigoblauen Bildern eines Thoma mehr als die gesetzlich zulässige Zahl hat angenommen werden können. Betrachtet man vollends die naiv sein sollenden Bilder eines Haider, so wird man unwill­kürlich heiter gestimmt und freut sich an dem kindlichen Sinne, der die Jury bewog, diese Wunderwerke der Zukunftsmalerei den Besuchern der internationalen Kunstausstellung zum Besten zu geben.

Man braucht keiu Schwärmer für' die Kunsterzeugnisse jener Epoche zu sein, wo der ganze Reiz der Komposition nur iu dem Rhythmus der Linien lag, wo Farbe und Stimmung als falscher Zauber galt, und doch wird man bekennen müssen, daß die Künstler jener Epoche nie das ewig giltige Gesetz des Schönen so übertraten, wie es jetzt durch den verwilderten Naturalismus mit seinem gedankenarmen, schwindelhaften Haschen nach Originalität geschieht. Sicherlich hat der realistische Umschlag in der Kunst eine wohlthätige Wirkung auf die gesammte Kunstprodnltion der letzten Jahre gehabt, wenn aber der Naturalismus fessellos die nackte Häßlichkeit darstellt, dann ist es Zeit, dagegen aufzutreten. Noch sind es nur wenige, welche ganz in dieses falsche Streben verrannt find, aber bei der großen Menge von Kunstjüngern wird ihre Zahl bald Legion sein, zumal wenn solche Auswüchse wie die genannten von dem Ausstellungsausschuß gehegt und gepflegt und andere Richtungen mit brutaler Gewalt unterdrückt werden.

Was die brillante Ausstattung der Ausstellungsräume anlangt, so läßt sich in diesem Punkte nichts gegen den Ausschuß sagen; ist es doch eher ein Fortschritt als ein Fehler im Äusstellungswesen zu nennen, wenn man nach dieser Seite hin der Würde der Knnst mehr Rechnung trägt.

politische Briefe.

22. Der Präsident des neuen Abgeordnetenhauses.

Als Herr v. Forckenbeck in Folge der Rede, die er am 17. Mai bei dem Bankett des Stüdtetages gehalten, das Präsidium des Reichstags niedergelegt hatte, chcirakterisirten wir (im elften dieser Briefe) die parlamentarische Sitte in Deutschland, es mit der Präsidentenfrage zn halten. Wir charnkterisirten sie sehr ungünstig mit gutem Recht. Die parlamentarischen Fraktionen streiten sich bei uns nm den Präsidentensitz, den jede aus ihrer Mitte besetzen möchte, gerade so wie bei akademischen Festlichkeiten der Präses und die Mar« schälte unter allerlei Streit von den Studentenkorps gestellt werden. Das Resultat kommt im Parlameute zu Stande wie auf der Universität, indem sich eine Anzahl Fraktionen (Korps) vereinigen. Daß diese Sitte kläglich und das stärkste äußere Zeichen der Unreife des deutschen Parlamentarismus ist, wer darf es leugnen? Anderwärts nnd man ist in dieser Beziehung ander­wärts überall taktvoller und praktischer als bei uns wählt man den Präsi-