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wäre vergeblich. Immerhin läßt sich zllsammcnstellcn, was vvr allen Augen liegt, die sehen können.
Die russisch-preußische Allianz, die mit den Zeiten Katharinas und Friedrichs beginnt, hat, obgleich sie, was in der Geschichte ohne Beispiel ist, über ein Jahrhundert sich erhalten hat, nie eine eigentliche Sympathie der Völker nnd Staatsmänner, aber allerdings zeitweise eine solche der Monarchen zum Stützpunkte gehabt. Diese Allianz glich recht eigentlich einer Vernunstehc, in welcher der eine Theil auf den andern Herabsicht, der andere beständig den Zwang des Verhältnisses fühlt. Nußland zog aus der preußischen Freundschaft den ungeheuern Vortheil, jeder Ablenkung seiner Kraft nach der Westgrenze überhoben zu sein. So konnte es nach Norden, Osten,' Süden und selbst nach Westen sich gewaltig ausdehnen, weil es nirgends aus starke Gegner stieß, und weil Preußen die einzigen Gegner abwehrte, die für Rußland hätten gefährlich werden können. Aber man war für diesen gewaltigen Dienst sehr mäßig dankbar in Rußland. Man schätzte die Deutschen gering nnd fürchtete sie zugleich. Von Prenßen insbesondere redete man sich ein, daß dieser arme kleine Staat nur cxistirc, so lange Rußland seine mächtigen Fliigcl über ihn breite. So war die Stimmung der öffentlichen Meinung und der Staatsmänner. Man fand es völlig überflüssig, sich in Unkosten zu stecken, um dem preußischen Staate außer dem allgemeinen Wohlwollen Rußlands, welches letzterem nichts kostete, noch in irgend einem Falle besondere Dienste zu leisten. Man fand es durchaus in der Ordnung, daß Rußland dem Handel der preußischen Ostprovinzen mehr nnd mehr die Lebensader unterband. Zwischen Alexander I. und Friedrich Wilhelm III. bestand eine aufrichtige persönliche Sympathie, welche aber über die natürlichen Gebote der Staatsklngheit hinaus die Politik der beiden Regierungen kaum beeinflußt hat. Nikolaus I. war am Hofe zu Berlin ein häufiger und hochgeehrter Gast; als ihn aber der Schwiegervater einmal an die Handelsverträge erinnerte, antwortete der Kaiser, man solle nicht sagen, daß er ein besserer Schwiegersohn als Kaiser gewesen. Zwischen Alexander II. und Wilhelm I. hat sich die Sympathie erneuert, welche des Einen Oheim mit des Andern Vater verband. Man kann wiederum sagen, daß die Politik der Regierungen dadurch über die natürlichen Gebote der Staatsklngheit hinaus nicht beeinflußt worden ist. Trotz des Dankes, den Wilhelm I. nach den Präliminarien von Versailles an seinen kaiserlichen Freund dafür richtete, daß dieser die Theilnahme anderer Mächte am Kriege verhindert, trotz dieses Dankes wird die Geschichtschreibung festzustellen haben, daß die Erklärung, Rußland werde ein etwaiges Eingreifen Oesterreichs gegen Preußen nicht glcichgiltig ansehen, zwar in Berlin sehr willkommen sein mußte, aber den Lauf der Dinge nicht beeinflußt hat. Die damaligen Kriegsgelüste in Wien sind durch Andrassy und die Ungarn, unterstützt von einem gewichtigen Theile der deutschen Liberalen, weit entscheidender in