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waltungsbeschlüsse zeigen. Schon vorher mnß sein Eintritt in den geistlichen Stand erfolgt sein. Ob er die höheren Weihen empfangen, läßt sich ' nicht feststellen; sicher aber ist, daß er nicht Minorit, sondern Weltgeistlicher war.
An der Pariser Universität waren die Streitigkeiten, welche im Anfange des 14. Jahrhunderts Staat und Kirche tief erregten, nicht spurlos vorübergegangen. Die nationale Gesinnung hatte hier über den klerikalen Parteistaud- pnnkt einen entschiedenen Sieg davongetragen. Im Jahre 1304 hatte die Universität selbst das Schwergewicht ihres Ansehens für König Philipp IV. in die Wagschale geworfen und sich dessen Appellation von Papst Bonifaeins VIII. an ein allgemeines Concil angeschlossen.
Damals wurde für die Rechte des Staates gegenüber der Kirche manches gewichtige Wort gesprochen, und muthig waren Johann von Paris, Wilhelm Oecam und Andere den Uebergriffen der Kurie entgegengetreten. Die Berührung mit solchen Mänuern mnßte auf Marsiglio bedeutend einwirken. Neben der Heilkunde, mit der er sich damals beschäftigte, begann er sich dem Studium der Theologie zn widmen. Bald wurde er selbst in den Strudel der theologischen Streitigkeiten hineingezogen. Der Anlaß zu thätigem Eingreifen in den Kampf gegen die damalige Kirche war bald gegeben.
Gelegentlich eines unbedeutenden Vorfalls brach zwischen Papst Johann XXII. in Avignon uud dem Franziskanerorden ein Konflikt aus, der sich um die Auslegung der Regel des heiligen Franz von Assisi in Bezug auf die evangelische Armuth bewegte. Wie Christus und die Apostel weder einzeln noch gemeinsam Eigenthum besessen hätten, so verlangte die überwiegende Mehrzahl der Nachfolger des heiligen Frcmziscus die evangelische Armuth streng durchgeführt: sie war das Merkmal des Ordens und sein Stolz. Dieses Vorrecht, welches ihnen nach langen Kämpfen von Papst Nikolaus III. förmlich zugestanden worden war, wurde ihnen jetzt streitig gemacht von einer Hierarchie, die in dem Streben nach Macht und weltlichen Gütern aufging. Von Seiten der Kirche wurde der Satz, daß Christus und die Apostel kein Eigenthum besessen hätten, für ketzerisch erklärt. Der Prokurator der Minoriten, Bonagratia von Bergamo, der für den Orden eintrat, büßte seinen Freimuth mit harter Haft, und das Generalkapitel, welches in Perugia Verwahrung eingelegt hatte, wurde als häretisch verworfen. Damit erreichte der Streit seinen Höhepunkt. Auch die Pariser Universität wurde in dieser Frage um ihr Gutachten ersucht. Dasselbe kommt zu einem dem Papste günstigen Resultate. Welche Thätigkeit damals Marsiglio entfaltete, wissen wir nicht. Sicher ist nur, daß er zu der Frage Stellung genommen hatte, und daß ihn das Verdammungsurtheil, welches das Haupt der Kirche gegen die Minoriten schleuderte, indirekt mittraf. Einem Manne wie Marsiglio konnte unmöglich verborgen sein, welche Konsequenzen