Contribution 
Süddeutschland und die innere politische Lage.
Page
426
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image
 

- 426

Dieser tiefgreifende Unterschied zeigt sich auch in der Gegenwart wieder in seiner ganzen Schärfe, besonders in Betreff der Zoll- und Steuerreform. Diese fand in Baiern, Würtemberg und Baden eine viel zustimmendere Auf­nahme als in Preußen, wo man von vornherein liberal und schutzzöllnerisch für Gegensätze ausgab. Ordneten sich auch die badischen Abgeordneten ans Mangel an einer selbständigen und geistig bedeutenden Persönlichkeit, welche die kleine Gruppe einen eigenen Weg hätte führen können, mit einer einzigen Ausuahme der berliner Führung unter, trotzdem daß sie kurz vorher den Wählern das gegentheilige Versprechen geben zu müssen geglaubt hatten, so traten doch die würtemberger und besonders die bairischen Abgeordneten mit Entschiedenheit für die neue Wirthschaftspolitik ein, und letztere hatten auch die sittliche Kraft, sich von dem unwürdigen Bauue der berliner Parteidespoten zu befreien. Ebenso läßt das Reaktionsgeschrei des Nordens den Süden vorerst kalt, uud der Freiheitshelden Ä ls. Richter volltönender Schlachtruf:Fort- mit Bismarck!" den man jetzt vergeblich abzuleugnen sucht, fand in der süd­deutschen Bevölkerung keinen Wiederhall, so wenig, daß zwei badische Lokal­blättchen, die in dem Glauben, dem badischen Parteioberhaupte einen Dienst damit zu erweisen, besinnungslos einstimmten, alsbald an der Abnahme ihrer Abonnenten es gewahr wurden, daß man hier zwar an den unfehlbaren Papst glauben kann, nicht aber an den unfehlbaren Lasker-Kiefer.

In Süddeutschland hat aber auch die Presse lange nicht die Macht über die öffentliche Meinung, wie in Norddeutschland, wo die liberale Presse zum großen Theil in der Hand des kosmopolitisch angehauchten semitischen Jour­nalismus sich befindet, außerdem aber abhängig ist von den Parlamentsjour- nalisten und nicht wenig auch von kommerziellen uud Börseninteressen. Daher ist der Charakterliberal" dort auch an eine ganz bestimmte Schablone ge­bunden, die ihn vollständig decken muß, und Bann und Auathem treffen jedes Organ innerhalb der Partei, ganz gleich ob Zeituug oder Persönlichkeit, das eine von den Führern abweichende Ansicht aufzustellen den Muth hat. Diese Zustände scheinen sich jetzt freilich etwas zu ändern; dieZerfahrenheit", die innerhalb der liberalen Partei iu Preußen herrscht, beweist, daß man in den weiteren Wählerkreisen anfängt, den Druck der Tyrannei zu spüren, und daß man den Versuch zu machen scheint, die bisherige willenlose Unterordnung auf­zugeben. Demgegenüber haben die wenigen größeren süddeutschen Blätter mit Ausnahme natürlich des Augsburger Weltblattes eine von der berliner Mache uuabhängigere Strömung zu behaupten gewußt und sich über die politischen Fragen der Gegenwart ein selbstäudiges Urtheil bewahrt. Die süddeutsche Presse, weniger in der Lage, Stimmung zu macheu, wie die nord­deutsche, nimmt im Gegentheil sich weit eher die Stimmung, die in ihrem