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des akademischen Stils auf die Freiheit des Denkens; er vertheidigte mit Diderot die Inversionen; er sprach aus, daß echte Deutlichkeit in einer gehörigen Vertheilung von Licht und Schatten bestehe. Sein Einfall, man müsse Griechisch aus den Dialekten studiren, war ganz in Möser's Sinn. „In der Sprache jedes Volks finden wir die Geschichte desselben: mich wundert, daß man noch nicht den Versuch gemacht hat, die Geschichte uusers Geschlechts und unsrer Seele von dieser Seite näher zu untersuchen."
„Der grammatische und historische Sinn hängen von so willkürlichen Nebenbestimmungen ab, daß man keine Reise über das Meer noch in die Gegenden solcher Schatten scheuen darf, die seit hundert oder tausend Jahren Geheimnisse geglaubt, geredet, gelitten haben, von denen uns die allgemeine Weltgeschichte kaum soviel Nachricht giebt, als auf dem schmalsten Leichenstein Raum hat."
Die „Literaturbriefe" waren gewiß nützlich, die mittlere Bildung im richtigen Gleis zu halten; ebenso nothwendig aber war es, durch geniale Blicke diese mittlere Bildung vor Ueberhebung zu warnen und sie darauf aufmerksam zu machen, daß es außerhalb ihres engen Horizontes noch Dinge gebe, von denen sie keine Ahnung hatte. Die wahrhaft produktiven Kräfte jener Zeit waren die parodoxen Schriftsteller, die Winckelmann, Möser und Hamann. Inder Geringschätzung der modernen Zivilisation gingen sie mit Rousseau Hand in Hand; dann aber trennten sich ihre Wege, da sie auf die Frage: wo ist die echte Natur? eine verschiedene Antwort fanden.
Kant selbst, der so entschieden für die moderne Zivilisation eintrat, hatte schon in der „Naturgeschichte des Himmels" einen merkwürdigen Ausspruch gethan. „Wenn ich den Trieb der alten Völker zu großen Dingen, den Enthusiasmus der Ehrbegierde, der Tugend und der Freiheitsliebe, der sie mit hohen Ideen begeisterte und sie über sich selbst erhob, mit der gemäßigten und kaltsinnigen Beschaffenheit unsrer Zeiten vergleiche, so finde ich zwar Ursache, unseren Jahrhunderten zu einer solchen Veränderung Glück zu wünschen, welche der Sittenlehre sowohl als den Wissenschaften gleich einträglich ist, aber ich gerathe doch in Versuchung, zu vermuthen, daß es vielleicht Merkmale einer gewissen Erkaltung desjenigen Feuers seien, welches die menschliche Natur belebte, und dessen Heftigkeit ebenso fruchtbar an Ausschweifungen als schönen Wirkungen war."
Im Mai 1762 veröffentlichte Rousseau seinen „Emile", nachdem er kurz vorher den „vontrat social" herausgegeben hatte. Seiner ersten Entdeckung, die Zivilisation habe die Natur auf den Kopf gestellt, folgte die zweite, man müsse die Zivilisation auf den Kopf stellen, um zur Natur zurückzukehren, und