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folgenden Zeilen möchten auf einige Pnnkte daraus hinweisen, die fast ebenso gut auf die siebziger Jahre des 19. wie die zwanziger des 15. Jahrhunderts passen.
Blicken wir zunächst auf die gerügten kirchlichen Gebrechen, so fällt uns vor allem das Verdikt über das Wallfahrten in's Auge. Luther meint, man solle Niemand nach eigenem Gutdünken nach Rom wallen lassen, „er würde denn zuvor von seinem Pfarrer, Stadt oder Oberherrn erkannt, genugsam und redlich Ursache zu haben. Das sage ich nicht darum, daß Wallfahrten böse seien, sondern daß sie zu dieser Zeit übel gerathen, denn sie zu Rom kein gut Exempel, sondern eitel Aergerniß sehen, und wie sie selbst ein Sprichwort gemacht haben: ,Je näher Rom, je ärger Christen^, bringen sie mit sich Verachtung Gottes nnd der Gebote Gottes. Man sagt: ,Wer das erste Mal gen Rom geht, der sucht einen Schalk, zum andern Mal findet er ihn, zum dritten bringt er ihn mit heraus/ Aber sie sind nun so geschickt worden, daß sie die 3 Reisen auf einmal ausrichten." Wenn wir auch heutzutage in der von Luther vorgeschlagenen Bevormundung eine unberechtigte Entziehung der persönlichen Freiheit erblicken würden, auch schwerlich mehr gerade in Rom das Uon plus Ultra der Sittenverderbniß suchen werden, so werden wir doch nicht blind sein gegen die mancherlei Versuchungen zu „freiem Leben", welche solch' eine wandernde Karawane selbst in sich birgt, und gegen die nationalökonomischen Bedenken, welche die Wallfahrten erregen. „Nun geschieht es, daß Einer gen Rom wallet, verzehrt 50,100, mehr oder weniger Gulden, das ihm Niemand befohlen hat, und läßt sein Weib und Kind oder je seinen Nächsten daheim Noth leiden und meint doch, der thörichte Mensch, er wolle solchen Ungehorsam und Verachtung göttlicher Gebote mit seinem eigenwilligen Wallen schmücken . . . . Daher kommen so viele Bettler, die durch solch' Wallen unzählige.Büberei treiben, die lehren und gewöhnen, ohne Noth zu betteln."
Als ein zweites Wallfahrtsziel klagt Luther die „wilden Kapellen und Feldkirchen" an. „O wie schwere, elende Rechenschaft werden die Bischöfe müssen geben, die solches Teufelsgespenst zulassen und Genieß davon empfangen! Sie sollten die ersten sein, dasselbe zn wehren .... Es hilft auch nicht, daß Wunderzeichen da geschehen, denn der böse Geist kann wohl Wunder thun, wie uns Christus verkündigt hat. Matth. 24. Wenn sie den Ernst dazu thäten und verböten solch' Wesen, die Wunder sollten bald aufhören; oder wäre es von Gott, es würde sich nicht hindern lassen dnrch ihr Verbieten. Und wenn kein ander Zeichen wäre, daß solches nicht von Gott sei, wäre das genug, daß die Menschen tobend ohne Vernunft mit Haufen wie das Vieh laufen, welches unmöglich aus Gott ist. So hat auch Gott nicht davon geboten, ist kein Gehorsam, kein Verdienst da; darum sollte man frisch drein greifen und dem