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In dieser Stimmung fiel ihm eine Bibel in die Hände: „Es schien," schreibt er, „als wenn ich eine Decke über meine Vernunft und mein Herz gewahr würde, die mir das Buch bisher verschlossen hätte. Je weiter ich kam, je neuer wurde es mir, je göttlicher erfuhr ich den Inhalt und die Wirkung desselben. Ich sand, daß alle Geschichte, alle Wunder, alle Gebote und Werke Gottes auf den einen Mittelpunkt zusammenliefen: die Seele des Menschen aus der Sklaverei, Blindheit und Sünde zur höchsten Seligkeit zu erlösen. Ich erkannte meine eignen Verbrechen in der Geschichte des jüdischen Volks, ich las meinen eignen Lebenslauf, wenn ich sah, daß die Jsraeliten ihren Ungehorsam reuig erkannten und ihre Buße gleichwohl ebenso geschwind vergaßen, in der Angst aber um Nichts als einen Erlöser riefen, ohne den sie unmöglich Gott weder recht fürchten noch recht lieben konnten."
„Ueber diesen Betrachtungen verfiel ich in ein tiefes Nachdenken. Ich dachte an Kam, von dem Gott fagte, die Erde hat ihren Mund aufgethan, um das Blut deines Bruders zu empfange»! ich fühlte mein Herz klopfen, ich hörte eine Stimme in der Tiefe desselben seufzen und jammern, als die Stimme des erschlagenen Bruders, der sein Blut rächen wollte, wenn ich fortführe, mein Ohr zu verstopfen; mein Herz ergoß sich in Thränen, und ich konnte es meinem Gott nicht länger verhehlen, daß ich der Brudermörder, der Mörder seines eingebornen Sohnes war!"
„Ohne Gottes Wort scheint der ganze Mensch nichts als Erde zu sein, und Finsterniß aus der Fläche der Tiefe. Wollen wir etwas wissen über diese ungestillte, leere, geheimnißvolle Welt, so laßt uns den Geist fragen, der über der Tiefe schwebt."
„Gott offenbart sich; der Schöpfer der Welt wird ein Schriftsteller. Die Rede ist nicht von einer Offenbarung, die ein Voltaire, ein Bolingbroke, ein Shaftesbury annehmbar finden, die ihren Vorurtheilen, ihrem Witz, ihren Gründen Genüge thun würde. Leute, die sich Einsicht genug zutrauen, um eines göttlichen Unterrichts entbehren zu können, würden in jeder andren Offenbarung Fehler gefunden haben, und haben keine nöthig. Sie sind die Gesunden, die des Arztes nicht bedürfen."
„So sehr ist unsere Religion für unsere Schwachheiten und Mängel eingerichtet, daß sie alle diese in Wohlthaten und Schönheiten verwandelt. Alles was der irdischen Vernunft unwahrscheinlich und lächerlich vorkommt, ist den Christen unwiderleglich; was die Vernunft verzagt macht, richtet uns auf und macht uns stark in Gott." — „Wenn man erwägt, wieviel Stärke und Geschwindigkeit, deren wir sonst nicht fähig sind, uns die Furcht einer außerordentlichen Gefahr gibt, so begreift man, warum ein Christ dem natürlichen