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Photolithographie hergestellt sind fliegende Blätter des sechzehnten Jahrhunderts, Titelblätter von einer Bibelübersetzung Lnther's, von Fischart's Gar- gantua und Pantagruel u. s. w. Daneben nehmen sich freilich die Nachbildungen alter Holzschnitte durch moderne Xylographen, die für den Charakter des alten Holzschnittes nicht das geringste Verständniß gehabt haben, absonderlich genug aus. Auch die Porträts unserer klassischen Dichter — besonders Goethe nach May, Leasing nach Tischbein, Charlotte von Schiller —, unter den modernen Rückert und Freiligrath, sind durch die Behandlung der Xylographen charakterlos geworden. Das ist Dutzendware, die man sich in illu- strirten Famüienjvurnalen gefallen läßt, aber nicht in einem Buche, das mit solchem Pomp auftritt und zum größten Theil ja auch feine künstlerische Ansprüche befriedigt.
Weun nur der Text nicht wäre! Ohne ihn würde man das instruktive Bilderbuch jedesmal mit Vergnügen zur Hand nehmen und mit Befriedigung durchblättern. Aber dieser Text! Fast auf jeder Seite eine Unbehvlfenheit, eine Geschmacklosigkeit, ein schiefes Urtheil! Wenn man der Vorrede trauen darf, sucht Koeuig srellich jede Selbständigkeit von sich abzulehnen. Er will nur wiedergegeben habe«, was er bei Lachmaun und Gelzer gelernt, was die „Forschungen unserer hervorragenden Germanisten und Literarhistoriker" ihm geboten. Und in der That hat er, besonders für die Behandlung der älteren Epoche, von den Forschungen der Germanisten den ausgiebigsten Gebrauch gemacht, einen so ausgiebigen, daß er, statt uns ein lebendiges, farbenreiches Bitd von einer jeden Epoche im Rahmen der Kulturgeschichte zu entwerfen,, vielmehr nur trockenen Nvtizenkram gesammelt hat, der sich an dürftige und meist schwunglose Auszüge aus den alten Schriftdenkmälern anlehnt. Wie lebendig, wie fein poetisch nachempfindend hat dagegen Otto Roquette die alten Heldensagen nacherzählt!
Ich habe Rezensionen der Koenig'schen Literaturgeschichte gelesen, welche, von Germanisten geschrieben, gerade auf die Mängel in der Behandlung der ältesten Zeit hinwiesen. Um dann aber einigen Balsam auf die dem Autor geschlageneu Wunden zu träufeln, wurde die Darstellung der modernen Zeit, namentlich der klassischen Epoche, herausgestrichen. Ich kann mich dieser Ansicht uicht anschließen. Gerade in der Behandlung der ersten Epoche, an welcher die Germanisten wegen ihres unwissenschaftlichen Charakters Anstoß nahmen — ob mit Recht oder Unrecht, lasse ich hier dahingestellt —, waltet noch eine gewisse kühle Objektivität vor, die uns den Genuß der Lektüre zwar nicht erhöht, aber doch auch nicht verdirbt. Sobald sich der Verfasser dagegen der modernen Zeit nähert und anfängt, Tendenzen zu wittern, die den seinigen znwiderlausen, fällt er einer schrankenlosen Subjektivität anheiln, welche jeden