Beitrag 
Politische Briefe. VIII. : Die Aussichten der Zollreform im Reichstage.
Seite
200
Einzelbild herunterladen
 

200 -

bracht, worin der König sein EinVerständniß erklärt, daß bei Einnahmen, welche durch eine Steuerreform des Reiches dem preußischen Staate zufließen, sogar bei einer Herabminderung der Matrikularbeiträge unter den im Haus­haltsplan von 1879 vorgesehenen Satz, die Klassen- und klassifizirte Einkom­mensteuer um einen entsprechenden Betrag vermindert werde, falls nicht über die Mehreinnahme durch Eiuverständniß der gesetzgebenden Faktoren anderweitig disponirt wird. Der Finanzminister fügte sogar das Versprechen hinzu, diesen Willen der Staatsregierung durch die Vorlage eines Gesetzes nach Abschluß der Steuerreform des Reiches als einen dauernden zu binden. Damit war nach der damaligen allgemeinen Voraussetzung, insbesondere nach allen Erklä­rungen der national-liberalen Partei, die Frage der konstitutionellen Garantieen bis zur Ausführung der verheißenen gesetzgeberischen Maßregel erledigt. Mit einem Male besinnt sich jetzt die national-liberale Partei, daß sie Garantieen zu fordern habe nicht blos für das Steuerverminderungsrecht der Einzelland­tage bei dem Fall erhöhter, den Einzelstaaten zu gute kommender Reichsein­nahmen, sondern auch für das periodische Einnahme-Bewilligungsrecht des Reichstages, welches bisher in den Matrikularbeiträgen enthalten gewesen sei und mit dem Wegfall dieser nicht in Wegfall kommen dürfe.

Woher so plötzlich dieser neue Gedanke? Es ist schwer, die Vermuthung abzuweisen, daß die Ankündigung des Zentrums, gegen die Finanzzölle Oppo­sition zn machen, an der in Aussicht genommenen Strategie der national-liberalen Partei ihren Antheil hat. Man ist ärgerlich über die Aussicht, bei den Schutz­zöllen durch die Stimmen des Zentrums und der Konservativen geschlagen zu werden, man ist gegen die Schutzzölle nicht einmal der eigenen Reihen sicher. Aber man will dem Reichskanzler nicht folgen, man will ihm noch weniger in allen Punkten unterliegen, also greift man mit beiden Händen nach der Aussicht, ihm eine theilweise Niederlage durch die Hilfe des Zentrums beizubringen. Trauriges und gefährliches Auskunftsmittel einer Partei, die aller wahren politischen Leitung gänzlich ermangelt! Der Gedanke ist vor Allem unlogisch. Die Disposition über die Reichsüberschüsse, welche sich aus natürlich wachsenden Einnahmen ergeben, kann nicht zugleich dem Reichstage und den Einzellandtagen zugewiesen werden. Wenn das Reich seine Bedürfnisse befriedigt hat, dann müssen Reichsregierung und Reichstag den Einzelstaaten die Ueberschüsse zur freien Verwendung nach Vereinbarung der Regierungen mit den Landtagen gönnen, oder aber das Reich führt keine Ueberschüsse an die Einzelstaaten ab, sondern ermäßigt, sobald es Ueberschüsse erzielt, seine Einnahmen. Wollte das Reich seine Einnahme-Ueberschüsse nach Gunst entweder zurückhalten oder den Einzelstaaten zufließen lassen, das eine Jahr so, das andere Jahr anders, nach den Launen der Majoritäten, so müßte die heilloseste Verwirrung entstehen.